Die Steinernen Drachen (German Edition)
Besorgungen zu machen. Diese Gelegenheit wollte er nutzen. Er sagte ihr nichts davon, weil er sich auf keine Diskussionen einlassen wollte. Ihm war klar, welche Risiken er einging, und dass er die Mission gefährdete, wenn er sich nach draußen wagte. Andererseits wollte er gewisse wichtige Dinge nicht aufschieben. Von Chins Wohnung aus konnte er zu Fuß zum Bahnhof laufen. Die Straßen waren an diesem Vormittag voller Menschen, die rasch ihre Angelegenheiten regeln wollten, bevor die Sonne wieder unerträglich heiß vom wolkenlosen Himmel brannte. Er vermisste sein Handy, das jetzt wahrscheinlich irgendwo im schlickigen Grund der Rems lag. Am Bahnhof drückte er sich in eine stinkende Telefonzelle, in der sich die Hitze der letzten Wochen staute und zu einem Vielfachen der 35 Grad Außentemperatur potenziert wurde. Aus dem Gedächtnis wählte er eine Festnetznummer. Wie er schon vermutet hatte, ging niemand dran. Danach versuchte er eine Mobilfunknummer, wobei er nicht sicher war, ob er sie richtig im Kopf hatte. Auch hier bekam er keine Verbindung. Die Uhr auf dem Bahnsteig, die er von seiner Schwitzkabine aus einsehen konnte, sagte ihm, dass sein Zug nach Stuttgart in zwei Minuten abfuhr. Er hängte den Hörer auf die Gabel und war froh, aus dem Brutkasten zu kommen. Wie nicht anders erwartet, klebte sein Hemd schon wieder an seinem Rücken.
Der Zug kam pünktlich und zu seinem Glück war es einer der neuen, klimatisierten S-Bahnen. Die Menschen genossen den kühlen Luftstrom im Abteil. Trotz seines Pflasters auf der Stirn und der dicken Lippe, beachtete ihn niemand. Wie in allen öffentlichen Beförderungsmitteln behielt die Anonymität auch hier die Oberhand. Er setzte sich ans Fenster einer leeren Sitzreihe. Noch
ehe die S-Bahn wieder anfuhr, war er tief in Gedanken versunken. Seine Überlegungen kreisten um eine Frage, auf die ihn Bettina Kreutzmann gestoßen hatte. Welche Verbindung gab es zwischen Ilka und dem Verschwinden Leas?
Am Hauptbahnhof verließ er den Zug und stieg in die Stadtbahn um. Die U7 brachte ihn in den Stuttgarter Stadtteil Sonnenberg, dort, wo die Reichen wohnen. Als er aus der Bahn ausstieg, traf ihn die Hitze wie ein Hammer. Frank hatte das Gefühl, ein Stück aus der Luft beißen zu können, so heiß und schwer hüllte sie ihn ein. In seiner Hosentasche kramte er nach dem Zettel mit Ilkas Adresse. Nach einem kurzen Blick darauf, versuchte er sich zu orientieren. Er überquerte die Degerlocher Straße und der Asphalt unter seinen Turnschuhen fühlte sich weich an. Auf Anhieb fand er die richtige Straße und suchte nach der Hausnummer. Viele Gebäude in der Straße waren zurückversetzt und von hohen Mauern umgeben. Nichts Ungewöhnliches in diesem Stadtteil, wo sich klassizistische Villen und Herrenhäuser aneinander reihten. Die Hausnummer elf war eines der neueren Appartementhäuser, die mit viel Glas und Metall prunkten. Die Sonne gleißte in der verschwenderischen Glasfront. Sichtlich geblendet suchte er Ilkas Namen unter den zwanzig Klingelschildern, fand ihn aber nicht. Verwirrt trat er einen Schritt zurück und kontrollierte nochmals die Hausnummer. Eine Frau mit einem Kinderwagen erschien im Flur und mühte sich umständlich mit der schweren Eingangstür ab. Zuvorkommend hielt er ihr die Tür auf. Die Frau schob den Kinderwagen mit einem dankbaren Lächeln an ihm vorbei. Der plötzlichen Hitze ausgesetzt, begann das Kind zu schreien und die Mutter beugte sich über den Wagen.
„Entschuldigen Sie, wohnt hier eine Frau Schoeberg?“, fragte er in das Kindergeschrei hinein. Die Frau reagierte nicht auf seine Frage und er dachte schon, sie hätte ihn überhört. Doch dann drehte sie sich abrupt zu ihm um. Für drei Sekunden blieb ihr Blick irritiert an seiner Platzwunde hängen, dann lächelte sie verlegen. Das Kind schrie unermüdlich weiter.
„So ‘ne große, blonde mit Locken?“
Frank nickte. Die Sonne blendete ihn und er schirmte sie mit der Hand ab.
„Da müssen Sie bei AB Consulting klingeln. Muss ‘ne Firmenwohnung sein. Wenn überhaupt, dann wohnt diese Frau dort. Man sieht sie nicht oft. Ist wohl viel unterwegs. Für mich wäre das ja nichts, immer auf Reisen zu sein und ständig die Koffer ein- und auszupacken. Wobei, ich glaub’, die lässt alles waschen. Ich habe noch nie gesehen, dass die was in der Waschküche hängen hatte ...“
Er bedankte sich in den Wortschwall hinein. Mitfühlend sah er auf das Baby, das weiterhin penetrant heulte, ersparte sich
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