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Die Steinernen Drachen (German Edition)

Die Steinernen Drachen (German Edition)

Titel: Die Steinernen Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kern
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Armaturenbrett einem überfrachteten Tempelschrein glich. Opfergabengleich und geruchsstark waren bunter, fernöstlicher Kitsch, Räucherstäbchen, Lotusblüten und Buddhafigürchen aus Plastik, Orchideenkränze und Glasperlen in allen Farben auf dem Cockpit verteilt. Es tat in den Augen weh und malträtierte das Geruchsorgan.
    Die Frage, ob der Fahrer überhaupt die Straße vor sich sah, stellte sich als irrrelevant heraus, gleich nachdem er losgefahren war. Die Fahrweise war äußerst risikobehaftet und veranlasste Frank dazu, sich verkrampft an den hinteren Türgriff zu klammern. Chin gab dem Mann am Steuer in einer fremd klingenden Sprache Anweisungen. Der Taxifahrer lenkte seinen Wagen auf eine sechsspurige Schnellstraße und jagte mit waghalsigen Überholmanövern auf die Innenstadt zu.
    Die beeindruckende Kulisse der Stadt lenkte ihn etwas vom abenteuerlichen Fahrstil des gedrungenen Asiaten ab. Unter dem wolkenverhangenen Himmel reihte sich bis zum Horizont Hochhaus an Hochhaus, unterbrochen vom Funkeln der farbenprächtigen, goldumrandeten Dächer und Pagoden altertümlicher Tempelanlagen, die, von der modernen Architektur umgeben, seltsam fremd anmuteten. Dazwischen schimmerte hin und wieder der breite, schmutzige Fluss, der sich wie eine fette, graubraune Schlange durch die Metropole schlängelte. Unzählige Boote und Schiffe verkehrten darauf und verwirbelten die dreckige Brühe.
    Der Fahrer fuhr von der Schnellstraße ab und quetschte seinen Wagen durch verstopfte Straßen, auf denen sich neben Fahrrädern, überladenen Handkarren, mobilen Garküchen und knatternden Tuk-Tuks, mehrspurig Fahrzeugkolonnen im undurchschaubaren Chaos aneinander reihten und einen ohrenbetäubenden Lärm veranstalteten. Frank hatte nicht den Eindruck, je wieder aus diesem Verkehrssumpf entkommen zu können. Nach etwa einer halben Stunde steuerte das Fahrzeug auf die Einfahrt eines Hotels zu. Die schweren Wolken bekamen Risse und eine intensive Sonne spiegelte sich in der hoch zum Himmel ragenden Glasfront des Monarch Lee Garden . Ein groß gewachsener Asiat in einer weißen Uniform öffnete ihnen die Tür und begrüßte sie mit einem offenen, freundlichen Lächeln.
    Sein Zimmer lag im 21. Stock, direkt neben dem seiner Begleiterin. Als der Portier die schweren Vorhänge zur Seite zog, bot sich ihm ein überwältigender Anblick. Eine Seite des Zimmers war komplett verglast, das Fenster reichte von der Decke bis zum Boden. Er gab dem Portier ein Trinkgeld, ohne den Blick von der atemberaubenden Kulisse zu nehmen. Aus dessen sich überschlagenden Dankesworten und dem überraschten Grinsen schloss er, dass er die Währung falsch umgerechnet hatte. Sei’s drum!
    Er vergaß Baht und Euro und trat ehrfurchtsvoll ans Fenster. Bangkok lag ihm zu Füßen, wahllos von mehreren, über der Stadt verstreuten Lichtkaskaden beschienen, die wie platzierte Scheinwerfer durch die ausgefranste Wolkendecke hindurchstrahlten. Spähte er knapp an seinen Schuhspitzen vorbei, sah er unter ihm ameisengroße Menschen wuseln. Eine Architektur
    für Schwindelfreie. Er drapierte einen Stuhl aus der kleinen Sitzgruppe so, dass er auf das Häusermeer blicken konnte und setzte sich. Eine wohltuende Gelassenheit überkam ihn und sorgte dafür, dass er seine Sorgen, Probleme und die Anspannung der letzten Woche für einige Momente vergaß. Nur noch das Ziehen in der rechten Seite seines Brustkorbs erinnerte ihn daran, dass er sterblich war. Er verspürte den Wunsch auf immer und ewig hier zu sitzen und seinen Blick über diese Metropole schweifen zu lassen. So hoch über den Dingen, dass nichts von alldem, was sich hundert Meter unter ihm abspielte, bis zu ihm nach oben drang. Nichts von der Welt und ihrem Schrecken, Ängsten, Lärm und Gestank. Nichts von der Missgunst und Gier der Menschen. Nichts von ihrem Leid und ihrem Wahnsinn. Nicht einmal der Tod würde ihn hier erreichen.
    Er wusste natürlich, dass das Unsinn und dass dieses angenehm klimatisierte Zimmer alles andere als eine Zuflucht war. Doch für wenige Augenblicke genoss er dieses heimliche Gefühl, das sich wie eine kuschelige, weiche Wolldecke über ihn ausbreitete. Er fragte sich, wie viel Chin für die noble Unterkunft hingeblättert hatte. In den turbulenten Tagen vor seiner Reise war es nicht möglich gewesen, nähere Informationen über Thailand einzuholen. Ohne jegliches Wissen über dieses Land zu haben, war er eingereist, hatte am Flughafen hundert Euro in Baht gewechselt und ein

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