Die Steinernen Drachen (German Edition)
fragenden Blick, der aber unkommentiert blieb. Die Asiatin trug wieder ihren schwarzen Einteiler und die Haare hochgesteckt. Es schien ihr besser zu gehen. Ihre Erscheinung war wie gewohnt perfekt, auch wenn alles andere an ihr falsch war. Er versuchte ihr so zu begegnen, wie er es tat, bevor er herausfand, dass sie nicht die war, die sie vorgab zu sein. Aber er war sich unsicher, ob es ihm gelang. „Du siehst fantastisch aus!“
Die attraktive Vietnamesin lächelte und küsste ihn auf die Wange. Chin legte wieder die Freundlichkeit ihrer ersten Begegnung an den Tag. „Wir sind nicht hier, damit du mir Komplimente machst. Wir haben zu arbeiten. Ich habe bereits ein Taxi bestellt. Wenn du soweit bist, können wir los.“
Falsche Schlange , dachte er, nickte und folgte ihr zum Ausgang.
„Hast du ein neues Aftershave?“, fragte sie auf dem Weg nach draußen. Froh über die Ablenkung, erzählte von dem Apotheker und seiner Wundersalbe. Chin lachte noch darüber, als sie schon lange im Taxi saßen. Der Wagen war ähnlich rustikal eingerichtet wie das Auto, das sie vom Flughafen ins Hotel gebracht hatte, die Fahrweise des Chauffeurs allerdings etwas gemächlicher. Oder es kam Frank nur so vor, weil er sich durch das Feuer auf seiner Haut und den morphinen, eindringlichen Düften der Salbe wie benommen fühlte. Jedenfalls verlor er schnell die Orientierung im Wirrwarr der Straßen und Gassen, durch die sie fuhren. Zu seinem Leidwesen hatte der Wagen keine Klimaanlage. Schon nach wenigen Metern spürte er den Schweiß auf seinem Rücken und hasste sich dafür. Dann ermüdete ihn das Geschaukel des Taxis. Er lehnte seinen Kopf gegen die Seitenscheibe und starrte in die fremde Welt hinaus, versuchte bewusst die unzähligen Eindrücke dieser Metropole in sich aufzunehmen und zu erfassen. Aber seine Konzentration driftete ab, verlor sich in Überlegungen und Gedankensprüngen. Er fragte sich, was gerade mit ihm geschah. Rechnete zurück und kam auf elf Tage. Exakt vor elf Tagen begann das Abenteuer und das Ende war nicht abzusehen.
Vor eineinhalb Wochen war der asiatische Schrank im schwarzen Anzug in die Bar gekommen, hatte ihm Leas Foto unter die Nase gehalten und trat damit eine Lawine los. Zu diesem Zeitpunkt war etwas ins Rollen geraten und der dadurch entstandene Sog riss ihn mit. Oder ließ er sich mitreißen, weil das Verlangen nach dieser Frau wieder loderte? Eine Tatsache, die ihn geradewegs und unweigerlich in einen Albtraum gestürzt hatte. Seither überschlugen sich die Ereignisse. Angestrengt versuchte er sich das Gespräch mit Kwan Kham ins Gedächtnis zu rufen. Vor seinen Augen sah er den trügerischen, alten Anwalt, wie er in diesem großzügigen Ledersessel kauerte und seine gelben Rattenzähne bleckte. Sah, wie er ihm mit einem Batzen Geld wedelnd ein schmackhaftes Angebot gemacht und ihn damit in dieses Chaos getrieben hatte. Mit diesem Pakt in der Tasche und ab diesem Zeitpunkt war der Tod sein Begleiter.
Ao Zhong ließ auf einem stinkenden Hinterhof sein Leben. Stefan Kreutzmann, den man wahrscheinlich irgendwo verscharrt hatte, starb in seinen Armen. Ralf Wiegand und Horst Schwarz wurden verprügelt, das Schicksal der wahren Doktor Ngo ist ungewiss. Bei diesen Gedanken kroch, der vorherrschenden Temperatur trotzend, ein fröstelnder Schauer in ihm hoch, begleitet von einer keimenden Übelkeit. Inständig hoffte er, nicht noch mehr Toten zu begegnen und rekapitulierte schnell, was ihn während dieser Tage noch alles heimgesucht hatte.
Kommissar Meinhans, der ihn als Hauptverdächtigen mehrfach in die Mangel genommen hatte. Was unternahm der alte Kriminaler gerade, um ihn wiederzufinden, jetzt, wo er sich durch seine Flucht doppelt verdächtig gemacht hatte - noch dazu mit Hilfe eines gefälschten Passes? Konnte er auf Grund dieser verfahrenen Situation überhaupt je wieder nach Deutschland zurück? Oder würde er hier sterben? Es durchfuhr ihn wie ein Blitz. Ohne es zu wollen, hatte sich diese Möglichkeit längst in einem entlegenen Winkel seines Gehirns manifestiert. Doch bisher hatte er es nicht gewagt, sich damit auseinanderzusetzen. Auch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um über seinen eigenen Tod nachzudenken. Fest schloss er die Augen, um diese Vorstellung auszublenden. Er hatte nicht vor, hier sein Leben zu lassen!
Ein Schlagloch half ihm aus dieser verzwickten Lage. Der Taxifahrer rumpelte unbedacht durch besagten Straßenbelagsschaden und Frank prallte mit dem Kopf gegen das
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