Die Steinernen Drachen (German Edition)
darauf erwidern, wurde aber durch eine Geste Xiengs davon abgehalten.
„Was wissen Sie über die Steinernen Drachen?“, fragte dieser stattdessen. Unweigerlich suchte ihn einer dieser Klaren Gedanken
heim. Diese absolute Klarheit, die er schon vermisst hatte und die ihm eine höhere Bewusstseinsebene zu öffnen schien, eine Ebene, in der es keine Fragen mehr gab, nur noch Antworten. „Berge sind Drachen“, erwiderte er, so wie es ihm seine Intuition zugeflüstert hatte und ohne über die Bedeutung nachzudenken. Er wusste nur, dass Lea diese Worte vor langer Zeit benützt hatte und in ihnen eine Botschaft lag. Und jetzt war der Augenblick gekommen, diese weiter zu tragen.
Die darauffolgenden Ereignisse sollten ihm diesbezüglich Recht geben. Später würde er sich an diesen Augenblick erinnern und ihn als die Wende bezeichnen. Lange Zeit hatte er sich auf das Ende einer Sackgasse zubewegt und kurz vor der Kollision mit der Mauer, doch noch eine Abzweigung entdeckt. Nachdem er Xieng mitgeteilt hatte, was seine Klaren Gedanken ihm eingesagt hatten, klopfte dieser wieder an die schwere Stahltür. Kaum war sie auf, schlüpfte er hindurch, ohne noch ein Wort zu verlieren. Der Kommissar, der mit jeder Minute mehr aussah, als würde er gleich
einschlafen, warf ihm einen erstaunten Blick zu.
„Was hat er vor?“
„Ich fürchte, er holt den Henker“, antwortete Frank verbittert. Aus seiner Verzweiflung heraus, griff er nach der leeren Wasserflasche und warf sie gegen die Wand. Etwas deformiert landete sie auf den gesprungenen Fliesen. So eingedellt sieht bald mein Kopf aus!
Meinhans zeigte keine Reaktion, saß nur da und kämpfte damit, seine Augen offen zu halten. Seine Tränensäcke schienen gewachsen zu sein. Beim Anblick der rot unterlaufenen Augen fühlte er sich an einen treudoof dreinblickenden Dachshund erinnert. Es fehlten nur die langen Schlabberohren, aber er wollte sich nicht vom Äußeren dieses Mannes täuschen lassen. Denn so, wie er ihn kennengelernt hatte, war der Kommissar innerlich wahrscheinlich hellwach. Aber was würde das nützen? Was sollte Meinhans schon gegen Kham und seine Machenschaften ausrichten können? Der Kriminalbeamte musste doch froh sein, wenn sie ihn ungeschoren zurück nach Deutschland ließen. Eine Überlegung, die er für sich behielt, denn er fühlte sich nicht in der Lage, überhaupt noch etwas zu sagen.
Die Minuten verstrichen. Bisweilen glaubte er, dass seine Uhr stehengeblieben war, so langsam bewegte sich der Sekundenzeiger. Immer, wenn die Glühbirne flackerte, legten sich tiefe schwarze Schatten unter die tränenden Augen des alten Polizisten. Kein sehenswerter Anblick, aber die einzige Ablenkung. Das kleine Kino des Todgeweihten.
Er versuchte zu erahnen, was hinter der faltigen Stirn des Mannes vorging und in welche Richtung sich die Zahnräder drehten. Hatte Meinhans verstanden, in welcher Gefahr er schwebte? Dass der Kommissar genauso im Schlamassel saß wie er und diese Zelle mit den maisgelben Wänden auch für ihn ein Käfig war? Kham würde ihn sicher abreisen lassen. Allein! Niemals würde der Geheimdienstchef erlauben, dass er Frank wieder nach Deutschland zurückbringen würde. Geschickt eingefädelt, nahezu brillant! Kreutzmann zu töten und ihm unmissverständlich klarzumachen, dass der Verdacht auf ihn fiel. Damit hatte Kham ihn schon mit einem Bein nach Laos gelockt. Alles Übrige hatte Chin für den Laoten arrangiert. Jetzt hatte ihn der Minister endgültig in seinen Fängen. Was für Pläne verfolgst du mit mir? War es möglich, doch noch alles zu erfahren? Würde er es schaffen, alle Teile dieses Puzzles zusammenzusetzen ... bevor man ihn tötet? Der Weg zur Wahrheit führt jetzt allein über Kham!
Die aufschwingende Tür riss ihn aus den düsteren Gedanken. Auch Meinhans wirkte aufgeschreckt und blickte über seine Schulter. Im Türrahmen stand Xieng mit Franks Reisetasche unterm Arm. Sein linkes Lid zuckte mehrmals. „Kommen Sie“, forderte er die beiden auf. „Schnell!“
Ohne zu zögern sprang er auf und folgte dem Laoten aus dem Verhörraum. Hinter sich vernahm er Meinhans’ flinke Schritte und wunderte sich über dessen plötzlich zurückgekehrten Elan. Auf dem Korridor begegneten sie einigen Polizisten, die ihnen verwundert hinterher sahen, wie sie die steile Treppe hinauf eilten. Im Erdgeschoss angekommen empfing sie gleißendes Sonnenlicht, das durch aneinander gereihte schmale Fenster fiel, die einen weiteren Gang flankierten.
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