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Die Steinernen Drachen (German Edition)

Die Steinernen Drachen (German Edition)

Titel: Die Steinernen Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kern
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werden langsam unruhig, weil das Opferritual überfällig ist“, ergänzte Frank murmelnd. „Und Lea ist die jüngste Tochter des letzten Königs.“
    „Ihr kennt sie?“, entfuhr es dem Capitaine und seine schwarzen Schlitzaugen weiteten sich.
    „Von was redet ihr da?“, ging Meinhans endlich dazwischen. „Das war doch jetzt mythologischer Quatsch. Ihr zwei wollt doch nicht behaupten, dass ihr an so was glaubt?“
    „Vor zwei Wochen hätte ich genauso reagiert“, antwortete er betroffen und sah wieder zu Xieng, der ihn immer noch mit offenem Mund anstarrte.
    „Ich nehme an, dass Lea ebenfalls auf dem Weg in die Berge ist, freiwillig oder auch nicht, das sei dahin gestellt. Für mich kristallisieren sich jetzt gewisse Zusammenhänge heraus. Ich habe nur eine Frage: Was passiert, wenn das Opfer den Drachen auf der Haut trägt?“
    Dem Laoten entwich ein befremdlicher Ton, der an den Brunftschrei eines nicht zu klassifizierenden Tieres erinnerte. „Das ist unmöglich“, erklärte der Polizist in schwer zu verstehendem Singsang, nachdem er sich wieder gefangen hatte. Vor Erregung verfiel er silbenweise in seine Muttersprache. „Nur den Söhnen des Königs war es erlaubt, das Symbol des Drachen zu tragen. Wer den Drachen trägt, kann nicht geopfert werden. Im Gegenteil, er besitzt Macht über die Untiere.“
    „Dann sollten wir uns beeilen! Lea hat sich den Drachen tätowieren lassen. Wenn sie nicht als Blutopfer dient, um die Drachen zu besänftigen, dann ...“ Er wagte es nicht auszusprechen. Ein anderer Gedanke drängte sich in sein Bewusstsein. Eine böse Ahnung, die ihm trotz der Hitze im Wagen, eine Gänsehaut bescherte. Sein Gesicht fühlte sich plötzlich taub an, stockend tropften die Worte aus seinem Mund. „Lea hat eine Tochter.“
    Xieng betrachtete ihn, als hätte er sich in jemand anderen verwandelt.
    „Woher wissen Sie das?“, fragte der Kommissar dazwischen.
    „Ich bin der Vater!“
     
    Der Regen ließ nach und sie konnten ihre Fahrt fortsetzen. Seit der Capitaine seine Geschichte erzählt hatte, war er nicht mehr in der Lage, klar zu denken. Die Angst war zurückgekehrt, doch sie hatte ein neues Gesicht. Jetzt fürchtete er nicht mehr um sein Leben, sondern um das eines Kindes, dass er noch nie zu Gesicht bekommen hatte, von dem er aber glaubte, dass es seines sei. Zwar hatte er keinerlei Bestätigung dafür, aber auch keine Zweifel daran! Er war der Vater von Leas Tochter, die im Juni geboren war. Und nun war sie hier. Ihre Mutter hatte das Baby nach Laos gebracht – um was zu tun? Es zu opfern und damit die Drachen für weitere 72 Jahre zu besänftigen? Naheliegend, aber er weigerte sich, diesem Aberglauben zu frönen. Was auch immer die Beben in der Gebirgsregion zwischen China und Laos auslöste, es waren sicher keine zu Stein erstarrten Drachen. Aber die Menschen, die ihn in diese schreckliche Geschichte mit hineingezerrt hatten, glaubten daran: Kham, Chin, der Alte, Xieng, vielleicht auch die Chinesen, die in Deutschland hinter ihm her waren. Und Lea? Auch sie musste diesem Mythos verfallen sein. Um nicht selbst als Opfer herhalten zu müssen, hatte sie sich im vergangenen September von Wiegand den Drachen tätowieren
    lassen. Damit war sie gefeit und hatte ihren Jägern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zu diesem Zeitpunkt gab es niemanden mehr, der den Drachen geopfert werden konnte. Doch jetzt ist da dieses Kind! Die Blutlinie des Königs wurde fortgesetzt. Vermutlich verwässert durch seine Gene, aber immerhin. Das Kind war der jüngste Nachkomme der Königsfamilie. Somit hatten alle Parteien wieder ein Opfer für die Untiere – für die Steinernen Drachen!
    Frank wurde schlecht, wenn er daran dachte. Die Lösung des Puzzles ergab ein entsetzlicheres Bild, als er je zu ahnen wagte. Sein Kind sollte getötet werden. Die Verzweiflung darüber grub ihre rasiermesserscharfen Krallen in seine Eingeweide. Er suchte nach einer Lösung. Was konnte er ausrichten, wenn sie die Drachenberge erreichen würden? Auf die Hilfe von Xieng wollte er nicht setzen. Der Capitaine würde den Tod des Kindes als seine Rettung ansehen. Und Meinhans? Was konnte er tun? Der deutsche Kommissar war weit weg von seinem Zuständigkeitsbereich.
    Etwas passte noch nicht zusammen. Nicht alle Teile fügten sich nahtlos ineinander. Ständig hatte er das Gefühl, etwas zu übersehen. Aber die Angst hinderte ihn, dahinter zu kommen. Das Wissen darüber verschlechterte seine Verfassung. Ohnehin fühlte er

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