Die Steinernen Drachen (German Edition)
Himmel verdunkelten. Auf einer Felsterrasse stand Kwan Kham und streckte beschwörend seine dürren Arme in die geschwärzte Hemisphäre. Links zu seinen Füßen kauerte Lea. Ihr Gesicht war starr und weiß, wie das einer Porzellanpuppe. Anstelle der Augen, klafften zwei dunkle Löcher darin. Fenster, durch die er tief im Inneren ihres Schädels ein Feuer lodern sah. Über ihre Schulter äugte ein rot geschuppter Drache, die verkleinerte Ausführung der übermächtigen Wesen, die unentwegt ihre Kreise über seinen Kopf zogen. Rechts neben Kham saß Chin und sie hatte ihre Arme um das Bein des Laoten geschlungen. Wie eine Liebende klammerte sie sich an ihn und formte mit ihren Lippen lautlos die Worte, die ihr Angebeteter aus voller Brust in die Nacht hinausschrie. Es waren fremde, abstoßende Laute. Obwohl er sie nicht verstand, wusste er, dass diese Worte nach Unheil und Tod trachteten. Wenn Kham seine Beschwörungsformeln zu Ende brachte, würde er den Untergang der Welt herauf zitieren.
Hilfesuchend sah er sich um, doch alle, die ihn auf seinem bisherigen Weg zu den Steinernen Drachen begleitet hatten, waren verschwunden - verbrannt durch das Höllenfeuer, das die Drachen ihnen entgegen spien, zerstückelt von den messerscharfen Krallen der Ungetüme. Ilka mit ihren CIA-Leuten, der alte Laote, Kommissar Meinhans sowie der Capitaine und selbst die Chinesen. Alle hatten sie ihr Leben gelassen, ausgelöscht wie wehrlose, unscheinbare Insekten.
„Wer die Drachen beherrscht, beherrscht die Welt“, murmelte er und machte sich daran, den Felsvorsprung zu erreichen, von dem Kham seinen magischen Sprechgesang schmetterte: seine Bannformeln für die Himmelswesen.
Frank bewegte sich geschmeidig wie eine Raubkatze. Ich bin Yin, der grüne Tiger aus dem Tal , ging ihm durch den Kopf. Er erinnerte sich an das, was Chin einst von Yang, dem roten Drachen, der den Berg verkörpert, erzählt hatte. Alles passte zusammen. Der Drache auf Leas Schulter hatte endlich seine Färbung bekommen. Ein stachliges, rotes Schuppenkleid, durchzogen von purpurnen Streifen, die wie prall gefüllte Adern pulsierten. Aus dem Rückgrat ragten knöcherne Dolche, hinunter zum spitz zulaufenden Schwanz, der wie eine mit Dornen gespickte Peitsche durch die schwefelschwangere Luft schwirrte. Der Drache glich nicht mehr der Tätowiervorlage, war jetzt ein furchteinflößendes, geiferndes Monster. Als der Dämon ihn kommen sah, löste er sich von Leas Rücken und jagte ihm entgegen. Mit jedem Satz, den er näher kam, wuchs er an Größe und Umfang. Er steigerte seine Geschwindigkeit und hechtete unbeeindruckt auf das rasende Untier zu. Sie prallten aufeinander, laut und gewaltig, wie die mächtigen Hörner zweier rivalisierender Steinböcke. Der Zusammenstoß hallte an den nackten Felswänden einem Donnergrollen
gleich, wider. Der Drache schlug seine rasiermesserscharfen Krallen in seine Flanken und seine nadelspitzen Zähne drangen tief in das linke Schultergelenk. Franks Hände packten den schuppigen Schlangenhals des Angreifers. Er konzentrierte all seine Kraft darauf, so fest wie möglich zuzudrücken. Yin und Yang hatten sich vereint. Betrunken vom Schmerz und Adrenalin tanzten sie ihren tödlichen Reigen, wirbelten herum, taumelten gegen die steil aufragende Wand und dann wieder gefährlich nahe an den Abgrund heran. Sekundenlang erschien der Kampf wie ein ausgewogenes Gezerre. Keiner der beiden Kontrahenten war in der Lage die Oberhand zu gewinnen. Benommen von dem peinigenden Schmerz, den die Zähne und Krallen in seinem Fleisch verursachten, hörte er, wie Kham und die beiden Frauen den Drachen anfeuerten. Gleichzeitig merkte er, wie seine Kräfte schwanden. Das Untier, das dabei war, handtellergroße Fleischfetzen aus seinem Leib zu reißen, würde siegen, egal wie stark er es auch würgte. Es gab nur einen Ausweg. Wer den Tiger reitet, kann nicht mehr absteigen , kam ihm in den Sinn. Er ließ sich zur Felskante drängen, warf seine Arme, so fest er konnte, um die ledernen Flügel des Drachen und stürzte sich in den Abgrund. Eng umschlungen wie ein Liebespaar, riss er den Drachen mit sich. Das Monster versuchte sich aus der Umklammerung zu lösen, wand sich wie ein Aal, aber er hielt seinen eisernen Griff. Als das Drachenwesen bemerkt hatte, dass es seine Flügel nicht befreien konnte, begann es ohrenbetäubend zu brüllen. Zu spät reagierten seine großen Brüder auf das Geheul. Jeder Abgrund hat ein steiniges Ende und dieses kam rasend
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