Die Steinernen Drachen (German Edition)
nachts zu arbeiten, war es kein Wunder, dass er nicht müde war. Zudem kamen all die schrecklichen
Ereignisse. Er hatte nicht einmal Zeit über seinen Rauswurf aus der Bar nachzudenken, da stolperte er schon über den sterbenden Kreutzmann.
Warum ihn Lockmann einfach fallen ließ, leuchtete ihm nicht ein. Es gab keine Beweise, dass er den Chinesen umgebracht hatte. Die Presse hatte bisher keine Hinweise darauf, dass er unter den Verdächtigen war. Und selbst wenn! Würde ein unter Mordverdacht stehender Barkeeper nicht zusätzlich Leute anlocken? Olafs Reaktion war angesichts ihres engen, freundschaftlichen Verhältnisses menschlich als auch wirtschaftlich gesehen, unlogisch. Für eine Sekunde fragte er sich, ob jemand nachgeholfen hatte, fand aber dann den Gedanken überspannt. Und doch blieb ein Nachgeschmack. Sein Chef, sonst nur die klingelnde Kasse im Kopf, verhielt sich plötzlich wie eine Mimose und hatte Angst um seinen ohnedies stichigen Ruf. Seit wann gab Olaf Lockmann etwas darauf, was die Leute reden?
Und Kham? Warum hatte er seinen Leibwächter geschickt? Warum bot er ihm überhaupt Hilfe an? Im ersten panischen Moment, nach dem Auffinden von Kreutzmann hatte er nicht nachgedacht und den Menschen angerufen, dem er am wenigsten vertraute. Jetzt saß er noch tiefer in der Scheiße als vorher. Hätte er die Polizei verständigt, wäre er sicher irgendwie da raus gekommen. Doch nun war es zu spät. Er entfernte sich unerlaubt vom Tatort und wusste nicht, was der Sumomann nach seinem Verlassen dort inszenierte. Hatte er seine Spuren verwischt und die Leiche verschwinden lassen oder noch deutlichere Hinweise gelegt, die ihn als den Mörder überführten? Er hoffte, dass ersteres der Fall war. Kham wollte seine Hilfe, um Lea zu finden, warum sollte er ihm da einen Mord in die Schuhe schieben?
Er starrte den Mann im Badezimmerspiegel ungläubig an. „Du bist am Arsch“, flüsterte er ihm zu. Der Schmerz über seinem Auge tobte weiter, unbeeindruckt von den Medikamenten. Warum hatte Kham ihm, ohne Fragen zu stellen, geholfen? Warum half er einen Mord zu vertuschen und riskierte dabei selbst in den Kreis der Ermittlungen gezogen zu werden?
Sein Blick fiel auf die Armbanduhr auf der Ablage über dem Waschbecken. Erschrocken stellte er fest, dass er den Termin mit Doktor Ngo verpasst hatte. Er stieß einen Fluch aus, der mit einem heftigen Stechen in seiner Schläfe bestraft wurde. Ohne Rücksicht auf seinen Kopf, trottete er in den Flur und griff nach dem Telefon.
„Ja?“
„Hier spricht Grabenstein! Es tut mir leid, ich habe Sie versetzt.“
„Das war nicht sonderlich nett von Ihnen. Ich musste alleine frühstücken.“
„Hören Sie, es tut mir wirklich furchtbar leid und es lag sicher nicht in meiner Absicht ...“
„Schluss mit dem Gesäusel! Horst rief mich an und hat für Sie ein gutes Wort eingelegt. Daher will ich mal nicht so sein und Ihnen noch eine Chance geben. Ich bin am Mittwoch wieder in Waiblingen. So bleibt Ihnen noch etwas Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, was ich Ihnen über Indochina erzählen soll. Ich melde, wann und wo wir uns treffen können.“
Frank dankte ihr mehrmals und gab ihr seine Handynummer. Die Kopfschmerztabletten woben eine dämpfende Wolkenschicht um sein Gehirn. Er brühte sich einen starken Kaffee auf und setzte sich an den Tisch. Der eklige Geschmack in seinem Mund verflüchtigte sich mit jedem Schluck ein bisschen mehr. Als er sich besser fühlte, zog er den Prospekt des Tätowierladens heran. Soilent Green Tattoo, Inhaber Ralf Wiegand , las er. Wusste dieser Mann etwas über Lea oder war es nur Zufall, dass Kreutzmann im Sterben von einem Tätowierer gesprochen hatte? Zögernd wählte er die Nummer. Zu seiner Enttäuschung bekam er keine Verbindung.
Er beschloss, nach Stuttgart zu fahren, sobald sich seine Migräne gelegt hatte. Auf dem Weg zum Bahnhof fiel ihm ein, dass die Polizei seine Fingerabdrücke wollte und er machte einen Abstecher ins futuristisch anmutende Polizeipräsidium in Waiblingen.
Wenn sie mich gleich da behalten, haben sie Kreutzmann gefunden , dachte er, als er an den Empfang trat. Diesmal war sein schlechtes Gewissen berechtigt, das sich beim Anblick des erstbesten Uniformierten meldete. Aber niemand legte ihm Handschellen an. Man ließ ihn zwanzig Minuten im Foyer warten, ehe ihn ein junger Polizist durch lange Gänge führte. Nackter Beton dominierte die Architektur, die von bunten Neonröhren beleuchtet war.
Kommissar
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