Die Steinernen Drachen (German Edition)
wieso er ausgerechnet jetzt an diese Frau dachte – an die Ressortleiterin der Staatsgalerie, seine ehemalige Vorgesetzte und für ein paar Wochen auch seine Geliebte. Besser ausgedrückt, er war ihr Geliebter. Sie hatte ihn nach seinem Studium unter ihre Fittiche genommen. Er versuchte sich zu erinnern, wie lange das jetzt schon zurücklag und erschrak, als ihm bewusst wurde, dass seitdem acht Jahre vergangen waren. Schon vorher hatte er die Frau flüchtig gekannt. Sein Vater, ein Grafiker, betreute zu dieser Zeit, bis zum unrühmlichen Abgang seines Sohnes, die Staatsgalerie in Sachen Corporate Design. Danach raffte ihn der Krebs innerhalb von einem dreiviertel Jahr dahin. Zwar hatte Frank nie ein gutes Verhältnis zu ihm, aber er gab sich die Schuld an seinem leidvollen Tod. Die Erinnerung an Beate verdrängte die Gedanken an seinen Vater. Sie war eine zarte Person, die aber ein strenges Regiment führte. Mit ihrem selbstbewussten Auftreten, kaschierte sie ihre zierliche Gestalt anderen gegenüber. Doktor Beate Schleissner-Behr war keine Schönheit, ihre Gesichtszüge zu hart und ihre Nase zu aristokratisch. Trotzdem zog sie die Blicke der Männer auf sich und auch er konnte sich dieser scheinbar unmerklichen Attraktivität nicht entziehen. Er war 29, als er sich auf sie einließ. Beate war damals 43, verheiratet und kinderlos. Die sexuelle Erfahrung einer reiferen Frau zog ihn in eine gewisse Abhängigkeit. Ihr schlanker, androgyner Körper mit den kleinen Brüsten und schmalen Hüften verbarg eine ungeahnte Begierde. Im Bett war diese beherrschte, konservativ auftretende Frau ein Vulkan.
Sie trieben es häufig abends in der Werkstatt, nachdem alle Mitarbeiter das Gebäude verlassen hatten. Der Geruch von Ölfarbe, Terpentin und jahrhundertealten Leinwänden schien ein zusätzliches Aphrodisiakum zu sein. Ihr Verhältnis war rein sexueller Art, keine Liebe, es herrschte nur körperliches Verlangen zwischen ihnen. In der Öffentlichkeit blieb sie seine Vorgesetzte und siezte ihn grundsätzlich in Anwesenheit von anderen Leuten. Nach vier Wochen verlor er zunehmend das Interesse an ihr. Der Anblick ihrer blau geäderten Brüste und die Besenreißer auf ihren Oberschenkeln hatten für ihn plötzlich nichts Erregendes mehr. Er war der Meinung, sie hatte ihm beigebracht, was Frauen von einem Mann erwarten und beendete die Liaison. Beate Schleissner-Behr zeigte zum ersten Mal, seit er sie kannte, eine emotionale Reaktion, einen Wutausbruch, der Frank zutiefst erschreckte.
Wie gewohnt hatten sie sich auch an jenen Abend in der Werkstatt getroffen. Wie so oft hatte er sie auf einem der Leuchttische, von hinten, hart, schnell und ohne Leidenschaft genommen. Danach hatte er sich angezogen und ihr gesagt, dass es heute das letzte Mal gewesen sei. Sie lag noch immer über den Tisch gebeugt und hatte ihn mit ihren grünen Augen fixiert. Er sah förmlich, wie sich hinter ihrer hohen Stirn ein Gewitter zusammen braute. Etwa eine halbe Minute lang luden sich ihre Gehirnwindungen statisch auf, um dann binnen einer Mikrosekunde zu explodieren. Hysterisch brüllend griff sie nach allem, was ihr in die Finger kam und schleuderte es ihm entgegen: Malutensilien, Farbdosen, Pinselreiniger und Rahmen schlugen rechts und links neben ihm ein. Farbe ergoss sich über die Wände und den Bodenbereich in der Ecke, in die er geflüchtet war. Er schlug schützend die Arme über den Kopf und kauerte sich gegen die Wand. Terpentinspritzer sammelten sich auf seiner Stirn. Die Ätzlösung lief ihm übers Gesicht und brannte höllisch in seinen Augen. Und der Schrei dieser, in der Seele verletzten Frau, bohrte sich durch die Gehörgänge in seinen Kopf. Der Ausbruch war genauso abrupt zu Ende, wie er angefangen hatte. Schwer atmend sagte sie ihm noch, er solle den Saustall aufräumen. Dann war sie verschwunden.
Drei Jahre später hatte er dafür seine Rechnung bekommen. Beate hatte keinen Finger krumm gemacht, um ihn vor seinem Untergang zu retten, als er mit den Fälschungen aufflog. Im Gegenteil, Frau Doktor Schleissner-Behr erklärte der Presse und allen, die es hören wollten, dass die alleinige Schuld an dem Kunstskandal bei ihm lag.
Das aufdringliche Klingeln seines Handys riss ihn aus den Gedanken. Es lag auf dem Beifahrersitz und blinkte ungeduldig. Da er gerade stadtauswärts fuhr und in Höhe einer Tankstelle war, bog er ab, hielt vor den Staubsaugern, die um diese Zeit verwaist ihre Schläuche baumeln ließen. Klobige Monolithen mit
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