Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
Immerhin, sie hatte seine Nachricht gekriegt und sie hatte geantwortet. Auch wenn er die Antwort erst mal nicht lesen konnte.
Aus dem Wohnzimmer war plötzlich der Fernseher zu hören. Eine Sprecherin, die bei aller Professionalität merklich aufgeregt klang. »…haben uns neue Informationen vom Mars erreicht. Wie es heißt, sind dort Bildaufzeichnungen entdeckt worden, die nicht nur belegen, dass auf dem Roten Planeten einst eine technisch hoch entwickelte Zivilisation existierte, sondern auch, dass sie allem Anschein nach vor etwa einer Million Jahre in einem gewaltigen Krieg ausgelöscht wurde. Eine erste Zusammenstellung dieser Dokumente wird uns in diesen Minuten überspielt. Mehr dazu im Anschluss an den Wetterdienst. East African Network News – bleiben Sie dran.«
Ronny sprang auf. Das war er, wie er ins Marsflugzeug stieg! Aber klar doch. Und das war Wim Van Leer, der da sprach. Das kam jetzt im irdischen Fernsehen! Genauer gesagt, vor zehn oder elf Minuten, weil natürlich auch das Fernsehsignal so lange brauchte bis hierher.
Er sah sich um. Ausgerechnet jetzt war natürlich niemand da. Nach und nach waren sie alle verschwunden . . . Er sah auf die Uhr. Kurz nach sechs. Essenszeit. Bestimmt würde seine Mom ihn auch demnächst rufen.
Aber hey! Der Start! So hatte das also ausgesehen von draußen . . . Wow.
Zu schade, dass es sonst niemand sah. Er zog seinen Kommunikator aus der Tasche, wählte Arianas Nummer.
»Ich bin’s, Ronny«, sagte er, als sie sich meldete. »Bist du grad beim Essen?«
»Nee. Hab keinen Hunger.«
»Hast du Lust, mich im Fernsehen zu sehen?«
»Wie, im Fernsehen?«
»Die auf der Erde zeigen Aufnahmen von meinem Flug. Der Kanal heißt EANN. Keine Ahnung, was das heißt.«
»Warte. Ich komm runter.«
Ronny sah auf die Bildwand. Der Start war nur eine Art Vorspann gewesen; jetzt sah man ein Studio, in dem ein paar Leute um einen Tisch herumsaßen. »Du kannst dir Zeit lassen. Ich glaub, die reden erst noch ‘ne Weile.«
So war es auch. Nachdem der Moderator ein bisschen über das Marsflugzeug erzählt hatte und über die Hintergründe des gestrigen Fluges – gestern war das gewesen? Erst? Es kam ihm wie hundert Jahre vor –, drehte sich die Diskussion, kaum zu glauben, zunächst darum, wie man es hatte zulassen können, dass ein Zwölfjähriger so ein Flugzeug steuerte, und auch noch ganz alleine! Eine korpulente Frau mit einer wie platt gedrückt wirkenden Nase regte sich ungeheuer darüber auf.
»He!«, protestierte Ronny. »Ich bin dreizehn!«
Die hatten doch wirklich keine Ahnung vom Leben auf dem Mars!
Die Tür ging auf, aber es war nicht Ariana, die hereinkam, sondern Henry Lang, der Marsmeteorologe. »’n Abend, Ronny«, sagte er und fragte mit einem Nicken zur Bildwand hin: »Ist das zufällig EANN?«
Ronny nickte. »Ja, wieso?«
»Die haben mir ‘ne Nachricht geschickt, dass sie die Aufnahmen von deinem Flug ausstrahlen. Irgendwie komme ich in der Sendung wohl auch vor, deshalb.«
»Ach so«, sagte Ronny. Ihm hatte niemand eine Nachricht geschickt. Das war mal wieder typisch für die Erwachsenen. »Schade, dass sonst niemand zuschaut, was?«
Mr Lang winkte ab. »Das zeigen die auf der Erde noch hundert Mal. In ein paar Tagen hat das jeder Mensch im Sonnensystem gesehen, jede Wette.« Er setzte sich. »Kennst du die Aufzeichnung eigentlich schon?«
»Nö«, sagte Ronny. »Wozu? Ich war doch dabei. He, da sind Sie ja schon!« Auf dem Fernseher wurde ein Foto von Mr Lang gezeigt und erklärt, wer er war und was er machte, nämlich die Bilder der Marssatelliten auswerten, unter anderem, um das Wetter vorherzusagen.
Mr Lang schien sich zu ärgern. »So ein unvorteilhaftes Bild«, grummelte er und rieb sich über das Kinn, was ein kratziges Geräusch machte. »Möchte wissen, wo sie das herhaben. Dran herumretuschiert haben sie auch. Und wie schlecht.«
Noch jemand kam. Diesmal war es Ariana.
»Hi. Hab ich’s verpasst?«
»Nee«, sagte Ronny. »Sie haben noch gar nicht angefangen.«
»Da hab ich ja zur Abwechslung mal Glück«, meinte Ariana und ließ sich in einen Sessel fallen.
Ein Wissenschaftler zeigte ein einzelnes Bild, auf dem sowohl die riesige Stadt zu sehen war als auch, in Randbereichen, Teile der Valles Marineris, und erklärte, dass man daraus schloss, dass es sich um Bilder handelte, die in der Tarnzone gewissermaßen »gefangen« gewesen und bei ihrer Auflösung freigesetzt worden waren.
Ariana sah Mr Lang grenzenlos verblüfft an.
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