Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
»Und das ist Ihnen aufgefallen? So ein Fitzelchen am Rand? Da hätt ich im Leben nie drauf geachtet.«
»Wenn man über zehn Jahre lang Satellitenfotos ausgewertet hat, hat man einen anderen Blick auf Bilder; das passiert ganz von selbst.« Mr Lang hörte nicht auf, an seinem schlecht rasierten Kinn zu kratzen. »Wobei ich sagen muss, jetzt, wo ich das so sehe, beschleicht mich ein ungutes Gefühl . . .«
Es war etwas in der Art, wie er es sagte, das Ronny eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. Er sah Ariana an, die ihn wiederum ansah. Offenbar ging es ihr genauso.
»Was für ein Gefühl denn?«, fragte sie. Ihre Stimme klang ein bisschen zittrig.
»Dass ich was übersehen habe«, sagte Henry Lang. Er faltete die Hände vor dem Kinn, starrte auf den Fernseher, wo jetzt die ersten Aufnahmen von Ronnys Flug gezeigt wurden. »Auf irgendeinem Bild war noch etwas. Etwas viel Gravierenderes. Ich komm bloß grade nicht drauf, was.«
25
Das Licht der Hölle
Die zweite Nacht im Gästehaus der Regierung hatte Carl geschlafen wie ein Stein. Und am Morgen gab es wieder ein gigantisches Frühstück, diesmal in aller Ruhe – herrlich! Insbesondere diese länglichen, gebratenen Gebilde . . . Würstchen , genau. An die hätte er sich gewöhnen können. Ob das wohl alles typisch afrikanische Gerichte waren? Er hatte keine Ahnung. Das meiste kannte er nicht oder nur vom Hörensagen: Milch zum Beispiel. Das hatten sie auf dem Mars nicht. Man brauchte irgendwelche Tiere dazu, die sie produzierten und Kühe hießen, und die gab es in der Siedlung eben nicht. Milch war eine weiße, kühle Flüssigkeit, die seltsam schmeckte. Nicht sein Fall. Elinn dagegen mochte sie.
Woran er sich aber allmählich gewöhnte, war die Schwerkraft. Es ging jeden Tag besser, hatte er den Eindruck. Er kam nicht mehr so schnell außer Puste und vor allem morgens fühlte er sich schon ziemlich gut. Abends allerdings hatte er immer noch das Gefühl, dass er jeden Moment in die Knie gehen konnte.
Für Elinn galt das leider nicht, im Gegenteil. Sie wirkte, als würde sie jeden Tag ein bisschen weiter gestaucht und zusammengepresst.
Aber vielleicht brachte der heutige Tag die Wende. Heute kam Professor Hung Huang-Fu von der Universitätsklinik T’ainan, der bedeutendste Lungenspezialist der Welt, nach Nairobi. Ein Termin im Klinikum stand schon fest: Um siebzehn Uhr würde er Elinn untersuchen, mit modernsten Geräten. Elinn hatte ein wenig Bammel davor, aber natürlich würden Urs und er sie begleiten.
Auch sonst versprach der Tag, aufregend zu werden. Am Vormittag empfing sie der Präsident der Erdregierung, hochoffiziell, wenn auch, wie Mrs Onyango erklärt hatte, in kleiner Runde. Ein paar Vertreter des Parlaments waren eingeladen, Senator Bjornstadt natürlich, und die Medien würden berichten.
Empfang beim Präsidenten! Es schien doch was dran zu sein an dem, was man ihnen ständig sagte: Dass sie »berühmt« seien.
Nach den Fernsehberichten vom Vortag allerdings war nun Ronny der berühmteste von ihnen allen. Das war ja eine tolle Geschichte mit seinem Flug! Da ließ man den Kerl ein paar Tage aus den Augen und schon stürzte er sich in die tollsten Abenteuer. Ein Flug …ja, in die Vergangenheit quasi! Wie es aussah, hatte Ronny damit das Rätsel, ob es nun Marsianer gegeben hatte oder nicht, gelöst – und das unbeabsichtigt, sozusagen nebenbei, wie er ohnehin alles zu erledigen pflegte, auch seine Schularbeiten.
Wobei das natürlich die Frage aufwarf, was es mit den gläsernen Höhlen auf sich hatte, die Carl entdeckt hatte: War das die Zufluchtsstätte der letzten Überlebenden des verheerenden Angriffs gewesen? Eine Art Schutzbunker, in dem die Marsianer am Ende doch ausgestorben waren?
Solche Fragen gingen Carl immer noch durch den Kopf, als sie in der Eingangshalle standen und darauf warteten, dass sie abgeholt wurden. Sie waren alle drei frisch eingekleidet, in luftige, farbenfrohe Sachen nach der neuesten Mode. Elinn hatte darauf bestanden mitzukommen. Ihr Sauerstoffgerät trug sie umgehängt wie eine Handtasche, obwohl sie zu dem Schluss gekommen war, dass es überhaupt nichts nutzte.
Draußen fuhr ein Konvoi vor, vier schwarze, glänzende, niedrige Automobile, deren Räder auf dem Regolit knirschten, mit dem die Zufahrt bedeckt war. Auf der Erde nannte man so einen künstlichen Geröllpfad Kiesweg .
Mrs Onyango war schon draußen. Sie redete mit den Chauffeuren, telefonierte immer wieder. Schließlich schien ihr
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