Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
Geschehens. Erlebte die großen Abenteuer.
Und auf ihre lange Mail, die sie ihm sofort und im Überschwang ihrer Gefühle geschrieben hatte, ihre Mail, in der sie ihm ihr Herz ausgeschüttet, in der sie ihm gar gestanden hatte, dass sie ihn liebte . . . Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das einem Jungen geschrieben. Ihr Innerstes offenbart. Und er? Nicht einmal geantwortet hatte er!
Sie würde in ihrer nächsten Mail alles zurücknehmen. Genau das würde sie tun.
Vielleicht.
Die Bildwand zeigte ebenso ausgiebig wie langweilig das sogenannte »Ankunftsgelände«. Ein seltsames Wort, fand Ariana und hielt es erst für neu erfunden, aber der Reporter gebrauchte es mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass sie sich nach einiger Zeit nicht mehr sicher war. Er trug ein knallrotes Hemd und hatte zwei Narben auf den Wangen, dicht unterhalb der Augen und so symmetrisch, als seien sie absichtlich gemacht worden. Eine links, eine rechts.
Weiträumig abgesperrt sei alles, betonte er immer wieder und lächelte dabei. Ein sympathisches Lächeln. Als wäre er völlig Herr der Lage. Dann sah man hohe Absperrgitter, die Soldaten hastig miteinander verschraubten, und den fertigen Zaun, wie er sich durch karges Niemandsland schlängelte. Bizarr.
»Schaut euch das an!«, hörte Ariana jemanden sagen. »Was haben die denn vor?«
Baumaschinen wurden angeliefert. Dutzende von Baggern rollten von Tiefladern, Betonmischwagen rumpelten über Pfade, die Planierraupen ins Gelände fraßen. Regen setzte ein, und wie! Aber egal, die Männer kniffen nur die Augen ein bisschen zusammen und machten weiter, luden Bauroboter ab, sechsbeinige Maschinen, die ihnen bis zu den Schultern reichten.
Ariana kannte den Typ, zwei davon hatten sie auch mal hier auf dem Mars gehabt. Sie waren irgendwann kaputtgegangen und man hatte beschlossen, keinen Ersatz anzufordern. Mehr als zwei davon hätten sie nicht bewilligt bekommen, hatte Carl und Elinns Mutter irgendwann erzählt, und dafür war die Programmierung eigentlich zu aufwendig.
Aber die da auf der Erde, im »Ankunftsgelände«, brachten Hunderte davon in Stellung. Was hatten die vor? Den blauen Turm auszugraben? Immer wieder wurde das Messgerät gezeigt, wie es einsam in der Landschaft stand, leicht schief und beharrlich 1,06 g anzeigend. Dort musste der Turm sein, erklärte der Reporter, auch wenn man nicht das Geringste davon sah. Die Welt, fuhr er fort, sei höchst besorgt über diesen »Geheimgang zur Erde«, wie er es formulierte.
»Vielleicht wollen sie das ganze Ding einbetonieren?« Das war Ronny. Er saß ganz vorn, den Oberkörper vorgebeugt, die Hände flach unter die Schenkel geschoben. Es sah aus, als wolle er jeden Moment mitten in das Bild hineinspringen.
Der Reporter schaltete um zu einem Mann mit Schlitzaugen, der trotzdem mit jenem schweren Zungenschlag sprach, den Ariana von den Russen unter den Siedlern her kannte. Vielleicht ein Mongole? Sie war sich nicht sicher, ob das sein konnte; Geografie war ihre schwache Seite. Sie würde es nachschlagen. Wenn sie es nicht vergaß.
Jedenfalls war der Mann ein Wissenschaftler, ein Physiker, der zu erklären versuchte, wie man sich die »Passage«, die Elinn, Carl und Urs durchschritten hatten, vorstellen musste. Er redete und gestikulierte und zeigte allerhand Diagramme, doch Ariana verstand rein gar nichts. Er gebrauchte Wörter wie »Wurmloch« und »Quantenverschränkung«, Begriffe, die sie auch von Professor Caphurna schon gehört hatte – aber bei dem hatte das alles nicht so schrecklich kompliziert geklungen.
Das alles hieß wohl so viel wie: Man hatte keine Ahnung, wie so eine Passage funktionierte. Das Einzige, was feststand, war, dass sie funktioniert hatte, denn anders hätten die drei schließlich nicht auf die Erde gelangen können.
»Wir haben gestern Nachmittag versucht, mit den Marskindern zu sprechen«, erklärte der Reporter, nachdem er wieder im Bild war, »doch leider ist uns da jemand zuvorgekommen.«
Ariana hob den Kopf. Was war das? Gestern Nachmittag, das hieß, mal überlegen …kurz vor Mitternacht nach Marszeit. Da hatte sie noch an ihrer Mail an Urs geschrieben. Hatte sie was verpasst?
Man sah, aus der Ferne mit einer wackligen Handkamera aufgenommen, einen Hubschrauber aufsteigen und davonfliegen.
»Kurz vor unserem Eintreffen«, fuhr der Reporter gelassen lächelnd fort, »wurden die Kinder nach Nairobi ausgeflogen, auf Anweisung des Präsidenten, wie wir erfuhren. Sie befinden sich
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