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DIE STERBENDE ERDE

DIE STERBENDE ERDE

Titel: DIE STERBENDE ERDE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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sternförmige Muster von der Schönheit der Schneekristalle, und jede Explosion klang wie der Pfeifenton – der klarste, reinste Ton, den man sich nur vorstellen kann. Als die Flitter weniger wurden, blies der Zauberer eine andere Note, und wieder schwebten Flitter in die Höhe, um in einem herrlichen Feuerwerk mit zauberhaften Mustern zu explodieren. Erneut blies der Zauberer, und erneut stiegen Flitter auf. Schließlich steckte er seine Pfeife ein, fuhr mit einem Tuch über die Schale, schob sie ebenfalls in sein Gewand und lehnte sich zurück. Jetzt zeigten auch die anderen Magier am Feuer, was sie konnten, und bald wimmelte die Luft über dem Tisch von Manifestationen und vibrierte von Zauber.
    Einer zeigte den Anwesenden neun neue Farben von betörender Leuchtkraft. Ein anderer ließ auf der Stirn des Wirts einen Mund entstehen, der zu fluchen und die Magier zu beschimpfen begann – sehr zum Unbehagen des Wirts, denn es war zweifellos seine eigene Stimme. Ein weiterer zauberte eine grüne Flasche herbei, aus der ein Dämon den Kopf streckte und furchterregende Grimassen schnitt. Ein anderer formte eine Kugel aus klarem Kristall, die hin und her rollte, wie ihr Herr es befahl, und die angeblich der Anhänger eines Ohrrings des berühmten Meisters Sankaferrins gewesen sein sollte.
    Lian hatte interessiert zugesehen. Beim Anblick des Flaschengeists war er vor Begeisterung aufgesprungen, und danach hatte er vergebens versucht, in den Besitz der Kristallkugel zu kommen.
    Schmollend verzog er den Mund und beschwerte sich, daß die Menschen hier Herzen aus Stein hätten, aber der Zauberer mit dem Kristallanhänger lachte ihn nur aus. Selbst als Lian ihm zwölf Beutelchen mit kostbaren Gewürzen dafür bot, lehnte er es ab, sich von seinem Spielzeug zu trennen.
    Lian bettelte. »Ich möchte doch so gern der Hexe Lith eine Freude damit machen.«
    »Macht ihr doch mit den Gewürzen eine Freude.«
    »Nun ja«, meinte Lian und flocht listig ein: »Sie hat ohnehin nur einen Wunsch – ein Stück Wandteppich, das ich Chun, dem Unausweichbaren, für sie stehlen muß.«
    Forschend musterte er einen nach dem anderen der auf einmal so stillen Männer.
    »Wieso dieser plötzliche Ernst? He, Wirt! Bringt neuen Wein!«
    Der Zauberer mit der Kristallkugel murmelte: »Selbst wenn der schwere rote Wein aus Tanvilkat über den Boden wallen würde – hinge dieser Name doch noch wie Blei in der Luft.«
    »Ha«, lachte Lian. »Ein einziger Schluck dieses Weins, und seine Blume würde alle Erinnerungen auslöschen.«
    »Schaut euch seine Augen an«, flüsterte einer. »Groß und golden…«
    »Sie sehen auch gut«, versicherte ihm Lian. »Und diese Beine – schaut her –, sie sind hurtig und unfaßbar wie Sternenlicht auf den Wellen. Und diese Arme – blitzschnell wissen sie mit der Klinge umzugehen. Und meine Zauberkraft
    – sie verbirgt mich vor allen Augen.« Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Becher. »Seht! Dies ist Zauber aus alter Zeit.« Er hob den Bronzereif an seinen Kopf, schob den Reif über die Schultern bis zu den Füßen, stieg heraus und holte ihn in die Dunkelheit. Als er glaubte, genügend Zeit sei verstrichen, stieg er wieder hindurch.
    Das Feuer flackerte. Der Wirt stand hinter der Theke, und Lians Wein auf dem Tisch. Aber von den Magiern war keine Spur. Lian blickte sich erstaunt um. »Wo sind meine Freunde?«
    Der Wirt drehte den Kopf. »Sie zogen sich in ihre Gemächer zurück. Der Name, den Ihr nanntet, drückte allzusehr auf ihr Gemüt.«
    So trank Lian seinen Wein in grübelndem Schweigen.
    Am nächsten Morgen verließ er die Herberge und machte sich auf zur Alten Stadt – eine graue Wildnis aus zerfallenen Säulen, verwitterten Sandsteinblöcken, gekippten Postamenten mit ausgewaschener Inschrift, von rostigem Moos überwucherte Steinterrassen. Eidechsen, Schlangen und Käfer krochen durch die Ruinen – die einzigen Lebewesen, die Lian hier entdecken konnte.
    Als er einen Weg durch den Schutt suchte, wäre er fast über die Leiche eines jungen Mannes gestolpert, der mit leeren Augenhöhlen in den Himmel starrte.
    Lian spürte, daß irgend jemand, irgend etwas sich ganz in der Nähe befand. Er sprang hastig in den Schutz eines Steinblocks und hatte seine Klinge bereits halb aus der Scheide, als er sah, daß es nur ein altersschwacher Greis war, der ihn beobachtete. Mit zitternder Stimme fragte der Weißhaarige: »Was sucht Ihr hier in der Alten Stadt?«
    Lian schob den Degen ganz in die Scheide zurück.

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