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DIE STERBENDE ERDE

DIE STERBENDE ERDE

Titel: DIE STERBENDE ERDE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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Habt Ihr schon vergessen?
    Welchen Dienst habt Ihr mir denn erwiesen? Wie habt Ihr Euch das Recht auf meine Liebe erworben?«
    »Wie absurd!« brauste Lian auf. »Seht mich an! Meine unnachahmliche Grazie, die Schönheit meiner Gestalt und Züge, meine großen Augen, so golden wie Eure, mein unerschütterlicher Wille und meine Macht… Ihr seid es, die mir dienen soll. Denn so will ich es!« Er ließ sich auf einen Diwan fallen. »Gebt mir Wein!«
    Sie schüttelte den Kopf. »In meiner kleinen Kuppelhütte kann mich nichts zwingen. Vielleicht draußen auf der Thamberwiese – aber hier im Innern, zwischen meinen blauen und roten Quasten, mit zwanzig dünnen Klingen, die nur meines Rufes harren, müßt schon Ihr mir gehorchen… Also, überlegt es Euch. Entweder Ihr erhebt Euch und verschwindet, um nie wiederzukehren, oder Ihr erklärt Euch einverstanden, mir einen Dienst zu erweisen, einen kleinen Auftrag auszuführen, und dafür werde ich dann Euer sein mit all meiner Glut und Leidenschaft.«
    Lian setzte sich auf. Ein seltsames Geschöpf, diese goldene Hexe. Aber sie war eine kleine Anstrengung wert, und später würde er sie für ihre Unverschämtheit bezahlen lassen.
    »Also gut«, sagte er süß. »Ich werde Euch dienen. Was möchtet Ihr denn gern? Juwelen? Ich kann Euch in Perlen ersticken, Euch mit Brillanten blenden. Ich habe zwei Smaragde von der Größe Eurer Faust, sie sind grüne Meere, die den Blick einfangen und ihn für immer zwischen vertikalen grünen Prismen wandern lassen…«
    »Nein, nein, keine Edelsteine.«
    »Einen Feind, vielleicht? Wollt Ihr Euch eines Feinds entledigen? Lian tötet zehn Männer für Euch. Zwei Schritt vor, Hieb und Stich – so.'« Er sprang geschmeidig herum, als fechte er. »Und die Seelen steigen blubbernd auf wie Blasen in einer Kanne Met.«
    »Nein, kein Morden.«
    Er setzte sich wieder auf den Diwan und blickte sie verblüfft an. »Ja, was wollt Ihr denn dann?«
    Sie trat an die Wand und zog einen Vorhang zur Seite.
    Dahinter befand sich ein goldener Wandteppich, in den das Bild eines Tals zwischen zwei schroffen Bergen eingewebt war.
    Ein breites Tal war es, durch das sich ein ruhiger Fluß vorbei an einem stillen Dörfchen in einen friedlichen Hain schlängelte. Golden war der Fluß, golden waren die Berge, golden die Bäume – ein Gold in so vielen tiefen, wundervollen Tönen, daß man glaubte, eine bunte Landschaft vor sich zu sehen. Aber von dem herrlichen Wandteppich fehlte zweifellos ein größeres Stück, das achtlos abgerissen worden war. Die Fäden an den Reißstellen hingen lose herunter.
    Lian betrachtete ihn bewundernd. »Exquisit, exquisit…«
    »Er stellt das Zaubertal von Ariventa dar. Die andere Hälfte wurde mir gestohlen. Der Dienst, den Ihr mir leisten sollt, ist, sie mir zurückzubringen.«
    »Wo ist sie?« fragte Lian. »Wer ist der unverschämte Dieb?«
    Sie beobachtete ihn unter gesenkten Lidern hervor, als sie sagte: »Habt Ihr je von Chun, dem Unausweichbaren, gehört?«
    Lian dachte nach. »Nein.«
    »Er stahl die andere Hälfte meines Teppichs und hängte sie in einer Marmorhalle auf. Diese Halle befindet sich in den Ruinen nördlich von Kaiin.«
    »Ha!« murmelte Lian.
    »Die Halle steht an einem Ort, den man den Platz der Flüsterstimmen nennt. Sie ist an einer schiefen Säule mit einem schwarzen Medaillon eines Phönix und einer doppelköpfigen Echse erkennbar.«
    »Ich eile!« rief Lian. Er erhob sich. »Eine Tagereise bis Kaiin, ein Tag, den Teppich zurückzuholen, ein Tag für den Heimweg. Auf Wiedersehen in drei Tagen.«
    Lith begleitete ihn zur Tür. »Nehmt Euch vor Chun, dem Unausweichbaren, in acht«, flüsterte sie.
    Pfeifend schritt Lian von hinnen, und die rote Feder wippte auf seinem grünen Hut. Lith blickte ihm lange nach, dann drehte sie sich um und stellte sich vor den goldenen Teppich.
    »Goldenes Ariventa«, wisperte sie. »Mein Herz weint und schmerzt vor Sehnsucht nach dir…«
    Die Derna ist ein schnellerer, schmälerer Fluß als der Scaum, ihr Bruder im Süden. Wo der Scaum sich durch ein breites Tal wälzt – purpur mit Roßblüten und weiß und grau, dort wo uralte Burgen zerfallen –, hat die Derna sich einen Weg durch eine steile Schlucht gebahnt und fließt im Schatten der bewaldeten Felsvorsprünge dahin.
    Eine alte Kiesstraße folgte einst ihrem Lauf, doch inzwischen hatte der Fluß hie und da ein Stück der Straße mitgenommen, so daß Lian auf seinem Weg nach Kaiin gezwungen war, sich an diesen Stellen

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