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DIE STERBENDE ERDE

DIE STERBENDE ERDE

Titel: DIE STERBENDE ERDE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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gerade bis zu seinem geschnitzten Nachen auf dem Scaum gebracht hatte.
    Kandive, durch seines Neffen Schweigen besänftigt, brachte eine Elfenbeinschatulle zum Vorschein. »So oder so! Wenn wir uns einig sind, werde ich dir das notwendige Wissen vermitteln.«
    Ulan Dhor nickte. »Abgemacht!«
    Also begann Kandive. »Deine Mission ist, zur verlorenen Stadt Ampridatvir zu reisen.« Aus gesenkten Lidern warf er einen heimlichen Blick auf seinen Neffen. In Ulan Dhors Zügen war nichts zu lesen.
    »Ich kenne die Stadt nicht«, fuhr Kandive fort. »Porrina IX.
    führte sie als die letzte der Olekhtinitischen Städte auf. Sie liegt auf einer Insel im Nordmelantein.« Er öffnete die Schatulle.
    »Diese Aufzeichnung fand ich unter alten Schriftrollen. Sie stammt von einem Poeten, der aus Ampridatvir floh, und zwar nach dem Tod von Rogol Domedonfors, dem letzten großen Herrscher und mächtigen Magier, der dreiundvierzigmal in der Zyklopädie erwähnt wird…«
    Kandive holte eine knisternde Schriftrolle aus der Schatulle, strich sie glatt und las:
    Ampridatvir ist jetzt verloren. Meine Mitbürger haben ihre Doktrin der Stärke und Disziplin aufgegeben und beschäftigen sich nur noch mit Aberglauben und Theologie. Endlos sind die dogmatischen Auseinandersetzungen: Ist Pansiu der wahre Gott und Cazdal verrucht, oder ist Cazdal die tugendhafte Gottheit, und verkörpert Pansiu das absolut Böse?
    Beide Seiten verteidigen ihre Dogmen mit Feuer und Schwert. Allein die Erinnerung daran macht mich krank. Ich überlasse Ampridatvir dem Zerfall, der nicht ausbleiben kann, und ziehe mich in das friedliche Tal von Mel-Palusas zurück, wo ich den Rest meines kurzen irdischen Lebens verbringen möchte.
    Ich werde mich nur noch an Ampridatvir erinnern, wie es einst gewesen ist, mit seinen Türmen, aus denen wundervolles Licht strahlte, ein Licht, das es mit der Sonne selbst aufnehmen könnte. Damals war Ampridatvir von unvorstellbarer Schönheit gewesen – oh, mein Herz schmerzt, wenn ich daran denke. Semirranken schlängelten sich aus tausend hängenden Gärten in die Tiefe. Blau wie Vaulstein floß das Wasser in den drei Kanälen. Metallene Wagen rollten durch die Straßen, metallene Schalen schwärmten in der Luft wie Bienen um ihren Stock – denn Wunder über Wunder, wir hatten speiendes Feuer geschaffen, das die Schwerkraft der Erde aufhob… Doch schon zu meiner Zeit ließ die gesunde Geisteshaltung nach. Zuviel Honig verdirbt den Appetit, zuviel Wein verwirrt den Verstand.
    Und zuviel Bequemlichkeit raubt einem Menschen die Kraft.
    Licht, Wärme, Nahrung, all das stand allen frei zur Verfügung und konnte durch minimale Anstrengung gewonnen werden.
    Da die Bürger von Ampridatvir nicht länger zu schwerer Arbeit gezwungen waren, widmeten sie sich immer mehr allen möglichen Marotten, der Perversität und dem Okkulten.
    Soweit ich mich auch zurückerinnern kann, war Rogol Domedonfors der Herrscher der Stadt gewesen. Er kannte das Wissen aller Zeiten, die Geheimnisse des Feuers und Lichts, der Schwerkraft und Antischwerkraft, die Wissenschaften der superphysischen Zahlenkunst, der Metathasmie, der Korolopsis. In seiner Gelehrtheit war er jedoch blind und sah die Verweichlichung und Degeneration der Ampridatvirer nicht. Fielen ihm doch hin und wieder Schwäche und Lethargie auf, dann schrieb er sie einer mangelnden Ausbildung und Erziehung zu. In seinen letzten Jahren erfand und entwickelte er eine ungeheuerliche Maschine, die dem Menschen jede Arbeit abnahm und ihm unbeschränkte Freizeit für Meditation und asketische Disziplin gewährte.
    Während Rogol Domedonfors sein großes Werk vollendete, brachen Tumulte in der Stadt aus – die Folge aufgepeitschter religiöser Hysterie.
    Die rivalisierenden Sekten von Pansiu und Cazdal gab es schon lange, doch außer den Priestern kümmerte sich kaum jemand um die so verschiedenen Dogmen. Plötzlich wurden die Kulte jedoch modisch. Die Bürger schlossen sich der einen oder anderen Sekte an und verehrten deren Gott. Natürlich waren die Priester, die schon lange eifersüchtig aufeinander waren, höchst erfreut über ihre neue Macht und feuerten ihre neuen Anhänger zu einem Kreuzzug gegen die andere Sekte an.
    Die Gemüter erhitzten sich, es kam zu Unruhen und Tätlichkeiten. Und eines bösen Tages traf Rogol Domedonfors ein Stein, und er stürzte von seinem Balkon herab.
    Verkrüppelt und dahinsiechend, aber sich gegen den Tod wehrend, vollendete Rogol Domedonfors seinen unterirdischen

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