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DIE STERBENDE ERDE

DIE STERBENDE ERDE

Titel: DIE STERBENDE ERDE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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schwarzen Haar. »Wer – wer seid Ihr?«
    flüsterte sie.
    »Ein Fremder in der Stadt«, erwiderte er. »Und sehr verwundert über das, was in Ampridatvir vorgeht.« Er drehte sich nach den Fischern um, aber sie waren nicht mehr zu sehen.
    »Ein Fremder?« fragte das Mädchen erstaunt. »Aber Cazdals Heilige Schrift berichtet, daß die Gauns alle Menschen außer den Grauen von Ampridatvir vernichtet haben.«
    »Cazdal hat genauso unrecht wie Pansiu«, versicherte ihr Ulan Dhor. »Es gibt noch unzählige Menschen überall auf der Welt.«
    »Ich muß es glauben«, murmelte das Mädchen. »Ihr sprecht, es gibt Euch – soviel ist klar.«
    Ulan Dhor fiel auf, daß sie ihre Augen von dem grünen Umhang abwandte. Sicher, er stank auch abscheulich nach Fisch, und Staat konnte er damit ohnehin nicht machen. Er streifte ihn ab und warf ihn von sich.
    Ihr Blick fiel auf seinen roten Mantel. »Ein Plünderer…«
    »Nein, nein, nein!« widersprach Ulan Dhor. »Ich muß schon sagen, ich finde dieses Gerede und Getue um Farben unsinnig.
    Ich bin Ulan Dhor von Kaiin, der Neffe Kandives, des Goldenen, und mein Auftrag ist, die Tafeln Rogol Domedonfors' zu finden.«
    Das Mädchen lächelte schwach. »So ist es mit allen Plünderern. Sie alle tragen Rot, und dann sind sie Freiwild für jedermann, denn wenn sie sich in Rot kleiden, weiß niemand, ob sie zu den Grauen gehören oder…«
    »Oder?«
    Sie schien verwirrt, als hätte sie selbst nicht weiter gedacht.
    »Geister? Dämonen? Es gibt seltsame Manifestationen in Ampridatvir.«
    »Ohne alle Zweifel«, pflichtete Ulan Dhor ihr bei. Er blickte über den Platz. »Wenn Ihr es wünscht, begleite ich Euch nach Hause. Vielleicht ließe sich dort auch ein Winkel finden, in dem ich die Nacht verbringen dürfte.«
    »Ich verdanke Euch mein Leben«, erklärte sie. »Und ich werde Euch helfen. Aber ich wage es nicht, Euch in meine Halle mitzunehmen.« Ihre Augen strichen über ihn, bis zu den grünen Beinkleidern, dort wandten sie sich ab. »Es gäbe nur Verwirrung und endlose Erklärungen.«
    »Dann habt Ihr wohl einen Gefährten?« fragte Ulan Dhor und hielt unwillkürlich den Atem an.
    Sie warf ihm einen zweifellos koketten Blick zu. Ein seltsamer Flirt, hier in den Schatten des uralten Ampridatvir –
    das Mädchen in dem derben grauen Umhang, den Kopf ein wenig schräg, daß das blonde Haar bis zur Schulter fiel, und Ulan Dhor, elegant, dunkelhaarig und in vollem Besitz seiner Geisteskräfte.
    »Nein«, erwiderte sie. »Ich hatte bisher noch keinen.« Ein schwaches Geräusch ließ sie zusammenzucken. Sie blickte verängstigt über den Platz.
    »Bestimmt treiben sich noch mehr Gauns herum. Ich werde Euch an einen sicheren Ort bringen. Morgen unterhalten wir uns dann weiter…«
    Durch eine Türöffnung führte sie ihn in einen der Türme und hoch zum Mezzanin. »Hier werdet Ihr bis zum Morgen ungestört bleiben.« Sie drückte seinen Arm. »Ich bringe Euch dann etwas zu essen, wenn Ihr auf mich wartet…«
    »Ich werde warten.«
    Ihr Blick fiel mit dem merkwürdigen, halbunterdrückten Schaudern, das ihm bereits aufgefallen war, über den roten Mantel und streifte nur hastig seine grünen Beinkleider. »Und einen Umhang sollt Ihr auch haben.« Sie verließ ihn. Ulan Dhor sah ihr nach, wie sie die Treppe hinunter und dann wie ein Geist aus dem Turm hinaus huschte.
    Er ließ sich auf dem Boden nieder, der aus weichem, elastischen Material war und sich warm unter ihm anfühlte.
    Eine merkwürdige Stadt, dachte er, und eigenartige Leute, die offenbar unter einem unbegreiflichen Zwang standen. Oder waren sie möglicherweise tatsächlich Geister?
    Er schlief sehr unruhig und wachte immer wieder kurz auf, bis endlich das schwache Rot des frühen Morgens durch den Türbogen drang.
    Er stand auf, rieb sich die Augen und das Gesicht, und nach einigem Zögern stieg er die Stufen zum Erdgeschoß hinunter und ging auf die Straße hinaus. Ein Kind in grauem Kittel sah seinen roten Mantel, wandte hastig die Augen von der grünen Hose ab und rannte schreiend vor Angst über den Platz.
    Fluchend zog Ulan Dhor sich hastig wieder in den Turm zurück. Er hatte hier Ruinen und Trostlosigkeit erwartet. Gegen Feindseligkeiten hätte er etwas unternehmen können –
    kämpfen oder fliehen –, aber diese unverständliche Angst band ihm die Hände.
    Jemand erschien am Eingang – das Mädchen. Sie spähte vorsichtig in das Halbdunkel. Ihre Züge waren angespannt, besorgt, bis sie Ulan Dhor entdeckte. Sie

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