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DIE STERBENDE ERDE

DIE STERBENDE ERDE

Titel: DIE STERBENDE ERDE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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träumen lassen. Aus Metall waren sie, das in der Sonne gleißte, und sie schienen sich in den Himmel heben zu wollen. Solche Städte waren Legenden der Vergangenheit, Träume einer Zeit, als die Erde noch jung war.
    Ulan Dhor musterte nachdenklich den plumpen Kahn, die derben grünen Kittel der Fischer. Waren sie Bauern? Würde er sich der Lächerlichkeit aussetzen, wenn er so in der glitzernden Stadt ankam? Er wandte den Blick wieder der Insel zu und kaute an seiner Lippe. Nach Kandives Worten war anzunehmen gewesen, daß Ampridatvir zerfallen, eine einzige Ruine war, ähnlich der Alten Stadt oberhalb Kaiin…
    Die Sonne schien bereits ins Wasser zu hängen, da bemerkte Ulan Dhor mit plötzlichem Schock den Zerfall zu Füßen der Türme. Die Stadt war also doch eine Ruine, wie zu vermuten gewesen war. Merkwürdigerweise wirkte Ampridatvir dadurch jedoch nur noch majestätischer, es verlieh ihr die Würde eines großen Monuments.
    Der ohnehin minimale Wind wurde schwächer, die beiden Boote kamen kaum voran. Die Fischer schienen besorgt, murmelten miteinander, zogen an den Tauen, strafften das Segel. Doch noch ehe sie den Hafen erreichten, hatte purpurne Dämmerung sich über die Stadt herabgesenkt, und die Türme schienen nun mächtige Monolithen. Es war fast dunkel, als sie an einem Kai aus Baumstämmen zwischen anderen Kähnen –
    einige grün, andere grau gestrichen – anlegten.
    Ulan Dhor sprang hinauf auf den Kai. »Wartet!« rief der jüngere Fischer und musterte Ulan Dhors roten Mantel. »Es wäre selbst in der Dunkelheit sehr unklug, sich solcherart gekleidet sehen zu lassen.« Er wühlte in einer Kiste und brachte einen zerlumpten und nach Fisch stinkenden grünen Umhang zum Vorschein. »Tragt das und zieht die Kapuze über Euer schwarzes Haar…«
    Ulan Dhor ekelte sich vor dem schmutzigen Ding, aber er gehorchte. »Wo bekomme ich etwas zu essen und ein Bett für die Nacht?« erkundigte er sich. »Gibt es Herbergen in Ampridatvir?«
    Ohne große Begeisterung brummte der jüngere Mann: »Ihr könnt die Nacht in meiner Halle verbringen.«
    Die Fischer warfen sich ihren Fang über die Schultern, kletterten auf den Kai und spähten besorgt in die Dunkelheit.
    »Ihr scheint mir beunruhigt«, sagte Ulan Dhor.
    »Und mit Grund«, versicherte ihm der Jüngere. »Des Nachts treiben die Gauns ihr Unwesen in der Stadt.«
    »Was sind die Gauns?«
    »Dämonen.«
    »Es gibt vielerlei Dämonen. Welcher Art sind die Gauns?«
    fragte Ulan Dhor beiläufig.
    »Sie sehen aus wie abscheuliche Menschen. Sie haben lange kräftige Arme, mit denen sie ihre Opfer umklammern und zerreißen.«
    »Ho!« brummte Ulan Dhor und langte nach seinem Schwertgriff. »Weshalb gestattet ihr, daß sie sich hier herumtreiben?«
    »Wir können ihnen nichts anhaben. Sie sind wild und stark –
    aber glücklicherweise nicht sehr behende. Mit ein wenig Glück und Vorsicht…«
    Nun spähte auch Ulan Dhor über Schutt und Ruinen hinweg in die Düsternis. Diese Leute waren mit den Gefahren hier vertraut. Er würde sich nach ihnen richten, bis er eigene Erfahrungen gesammelt hatte.
    Sie bogen um die erste Häuserruine herum und kamen in eine ehemalige Gasse, deren Steinskelette links und rechts im letzten Abendglühen aufleuchteten.
    Tod und Vergänglichkeit, dachte Ulan Dhor. Die Stadt lag unter einem staubigen Leichentuch. Wo waren die geschäftigen Millionen des alten Ampridatvirs? Spröder Staub und ihr Lebenssaft eins mit dem Wasser des Meers wie der aller anderen Männer und Frauen auch, die je auf der Erde gelebt hatten.
    Ulan Dhor und die beiden Fischer kamen nun in eine breite Straße – winzige Gestalten, die durch eine Totenstadt wanderten. Ulan Dhor blickte sich ungerührt um. Prinz Kandive, der Goldene, hatte sich nicht geirrt. Ampridatvir war genau das, was man sich unter einer uralten Stadt vorstellte.
    Die Fensteröffnungen gähnten schwarz, der Beton war gesprungen, die Balkone hingen schief, der Staub lag dick auf den Terrassen. Schutt und Trümmerstücke bedeckten überall die Straße.
    Aber Ampridatvir bewegte sich immer noch in einem gespenstischen endlosen Leben, dort, wo ihre Erbauer unverwüstliches Material und unversiegbare Energie verwendet hatten. Dunkle, glitzernde Streifen flossen wie Wasser zu beiden Straßenseiten – langsam an den Rändern, schneller in der Mitte.
    Mit der Selbstverständlichkeit alltäglicher Vertrautheit stiegen die beiden Fischer auf einen dieser Streifen, und Ulan Dhor folgte ihnen vorsichtig

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