DIE STERBENDE ERDE
und hügelaufwärts zur Kuppe der terrassenförmig angelegten Stadt Sapons geführt. Er wandte sich an den Vogt und fragte: »Wie kommt es, daß Ihr mir gestattet, wieder auf dem Weg zu schreiten? Ihr wißt doch, daß ich hier sicher vor allen Unannehmlichkeiten bin.«
Der Vogt zuckte die Achseln. »Gewiß. Aber Ihr würdet wenig erreichen, wolltet Ihr auf Eurer begrenzten Immunität beharren. Vor uns führt die Straße über eine Brücke, die wir mit Leichtigkeit abbrechen könnten. Hinter uns brauchten wir nur den Damm des Pelvemchalfalls öffnen. Nein, Herr Guyal von Sfere, nachdem Ihr das Geheimnis Eurer Immunität preisgabt, wäre es einfach, ihm entgegenzuwirken. Wir könnten, beispielsweise, eine hohe Mauer quer über die Straße errichten – vor und hinter Euch. Sicher würde der Segen Euch auch vor dem Verhungern und Verdursten bewahren, aber was könntet Ihr zwischen den beiden Mauern schon unternehmen?
Ihr würdet dort ausharren müssen, bis die Sonne für immer erlischt.«
Guyal schwieg. Er blickte hinunter auf den See. Drei der sichelförmigen Boote näherten sich dem Kai. Sie schaukelten sanft von Heck zu Bug in dem von Schatten überzogenen Gewässer. Sein Wissensdurst überwältigte ihn. »Weshalb gebt ihr euren Booten eine solche Form?« erkundigte er sich.
Der Vogt blickte ihn verständnislos an. »Sie ergibt sich von selbst. Wachsen bei euch im Süden die Oekapseln denn in anderer Form?«
»Ich habe noch nie eine Oekapsel gesehen.«
»Sie sind die Früchte eines großen Rankengewächses und entwickeln sich in Sichelform. Wenn sie groß genug sind, ernten und säubern wir sie, schneiden sie am inneren Rand von einem zum anderen Ende ganz leicht auf, dann verbinden wir die beiden Enden mit einem festen Tau und ziehen sie zusammen, bis die Kapsel sich wie gewünscht öffnet. Dann wird sie getrocknet, mit einem Schutzmittel überzogen, mit Schnitzwerk verziert, lackiert und schließlich mit einem Deck und Sitzbänken ausgestattet – und das Boot kann zu Wasser gelassen werden.«
Sie betraten den Stadtplatz auf dem Kamm der Anhöhe. Auf drei Seiten war er von hohen Häusern aus geschnitztem dunklen Holz umgeben. Die vierte Seite bot einen offenen Blick über den See und die Bergkette dahinter. Das Laubwerk riesiger Bäume schloß sich fast über ihren Köpfen, aber es war nicht sehr dicht und gestattete den Sonnenstrahlen, rote Muster auf den Sandboden zu malen.
Zu Guyals Erstaunen gab es keine einführende Zeremonie, noch war etwas von Festfreude zu bemerken. Ihm schien sogar, als bemühten sich die Bürger, eine gewisse Verzweiflung zu verbergen, während sie ihm ohne Begeisterung entgegensahen.
Etwa hundert Mädchen standen mit ängstlichen Mienen in der Mitte des Platzes. Sie hatten sich keinerlei Mühe gemacht, sich für den Wettbewerb herauszuputzen. Ganz im Gegenteil, sie trugen formlose Fetzen, die absolut nicht dazu beitrugen, die Anmut ihrer Gestalt hervorzuheben. Ihr Haar schien ihm absichtlich so ungünstig wie nur möglich frisiert, und ihre Gesichter waren schmutzig und zu häßlichen Grimassen verzerrt.
Guyal betrachtete sie kopfschüttelnd, dann wandte er sich an seinen Begleiter. »Mir deucht, eure Maiden legen keinen großen Wert auf den Kranz der Schönheit.«
Der Vogt nickte trocken. »Wie Ihr seht, ist keine darauf bedacht, die andere auszustechen. Bescheidenheit war schon immer eine Tugend der Saponiden.«
Guyal erkundigte sich zögernd: »Welcher Art soll ich vorgehen. Ich möchte in meiner Unwissenheit nicht noch einmal eines eurer geheimnisvollen Apokryphen verletzen.«
Mit unbewegtem Gesicht erwiderte der Vogt. »Es gibt keine vorgeschriebenen Formalitäten. Wir führen diese Wettbewerbe mit der geringstmöglichen Zeremonie und in aller Schnelligkeit durch. Ihr braucht nur an diesen Mädchen vorbeizugehen und auf jene deuten, die Ihr für die Schönste erachtet.«
Guyal machte sich ans Werk, obgleich er sich ein wenig komisch dabei vorkam. Aber er sagte sich: Das ist meine Strafe für die Übertretung einer absurden Tradition. Ich werde mein Bestes tun und diese mir auferzwungene Verpflichtung so schnell wie möglich hinter mich bringen.
Er stand vor den hundert Maiden, die ihm feindselig – und gleichzeitig verängstigt – entgegenblickten. Er sah, daß seine Aufgabe gar nicht so einfach sein würde, denn im großen und ganzen waren die Mädchen von beachtlichem Liebreiz, den nicht einmal der Schmutz, die Fetzen, die unvorteilhaften Frisuren und die
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