DIE STERBENDE ERDE
Grimassen verbergen konnten.
»Habt die Liebenswürdigkeit«, bat Guyal, »euch in einer Reihe aufzustellen. Auf diese Weise wird keine von euch im Nachteil sein.«
Unlustig stellten die Mädchen sich nebeneinander auf. Guyal musterte die Schar. Er sah sofort, daß eine größere Zahl ausgeschlossen werden konnte: die verkrüppelten, die körperlich verunstalteten, die allzu dicken, die zu hageren, die mit pockennarbigen und zu grob geschnittenen Gesichtern –
das war etwa ein Viertel der Schar. In gewinnendem Ton sagte er: »Nie habe ich soviel Schönheit versammelt gesehen. Jede einzelne von euch ist des Kranzes würdig. Meine Aufgabe ist sehr schwierig. Ich muß Unwägbares abwägen. Und zweifellos wird meine Wahl schließlich doch subjektiv sein, und jene von echtem Liebreiz scheiden womöglich schon als erste aus.« Er trat näher heran. »Alle, auf die ich weise, mögen sich bitte zurückziehen.«
Er schritt die Reihe entlang – und die Häßlichsten entfernten sich mit offensichtlicher Erleichterung. Ein zweitesmal schritt Guyal die Reihe ab, und jetzt, da er bereits ein wenig vertraut mit den Gesichtern war, fiel es ihm leichter, jene auszuschließen, die zwar absolut nicht häßlich waren, aber auch keinen Anspruch stellen konnten, schön genannt zu werden.
Etwa ein Drittel der ursprünglichen Zahl blieb. Diese Mädchen starrten Guyal in unterschiedlichem Maß verängstigt oder trotzig an, als er sie genauer musterte… Plötzlich entschied er sich. Innerlich stand für ihn bereits fest, auf wen seine Wahl fallen würde. Irgendwie schienen die Maiden es zu spüren. Nicht länger bemühten sie sich die Grimassen beizubehalten, um ihn zu täuschen. Auch die ungeheure Spannung schien sich zu legen.
Ein letztes Mal studierte Guyal die Übriggebliebenen. Seine Wahl war zweifellos richtig. Von den Mädchen hier war eine begehrenswerter als die andere. Schönheiten mit klaren Opalaugen standen hier, mit feingeschnittenen Zügen, seidigem Haar, das trotz des Schmutzes glänzte, mit dem sie sich eingerieben hatten, und so geschmeidig wie Weidengerten.
Das Mädchen, auf das seine bisher noch heimliche Wahl gefallen war, war etwas kleiner und zarter als die anderen, und ihre Schönheit stach nicht sofort hervor. Sie hatte ein feines herzförmiges Gesicht, große sehnsuchtsvolle Augen und dichtes schwarzes Haar, das in ungleichmäßigem Schnitt nur bis zu den Ohren reichte. Ihre Haut war von fast durchsichtiger Blässe wie reinstes Elfenbein, ihre Figur schlank, grazil und von ungeheurer Anziehungskraft. Offenbar ahnte sie bereits, daß die Wahl auf sie gefallen war, denn ihre Augen weiteten sich erschrocken.
Guyal nahm sie an der Hand, führte sie aus der Reihe und drehte sich zu dem Woiwoden um – einem alten Mann, der mit unbewegtem Gesicht in einem schweren geschnitzten Holzsessel saß. »Sie erachte ich als die lieblichste Maid«, erklärte er.
Ein drückendes Schweigen lastete über dem ganzen Platz.
Dann war ein Laut wie unterdrücktes Schluchzen zu vernehmen, und Guyal sah, daß er von dem Vogt kam. Mit leiderfülltem Gesicht und hängenden Schultern trat der bisher so selbstbewußte Mann heran.
»Guyal von Sfere, Ihr rächt Euch bitter, daß ich Euch so übel mitgespielt habe. Es ist meine über alles geliebte Tochter Shierl, die Ihr zu ihrem Verderben bestimmt habt.«
Guyal wandte seinen Blick vom Vogt voll Erstaunen zu Shierl, die ihm nun wie betäubt schien und deren feuchte Augen in weite, furchtbare Fernen starrten.
Er drehte sich wieder zu dem Vogt um und stammelte: »Ich beabsichtigte absolute Objektivität. Ich halte Eure Tochter für das bezauberndste Geschöpf, das ich je gesehen habe. Ich verstehe nicht, wie ich Euch oder sie damit jemals kränken konnte.«
»Nein, Guyal«, seufzte der Vogt. »Ihr habt richtig entschieden, ich bin durchaus Eurer Meinung.«
»Nun«, forderte Guyal ihn auf, »so verratet mir denn meine dritte Aufgabe, damit ich mich weiter auf meine Pilgerschaft begeben kann.«
»Zehn Meilen von hier«, sagte der Vogt, »findet man Ruinen, die, wie die Legende berichtet, das alte Museum der Menschheit sein sollen.«
»Ah!« murmelte Guyal. »Redet weiter, ich höre.«
»Ihr müßt, als dritte Sühnetat, meine Tochter Shierl zum Museum der Menschheit begleiten. Am Portal schlagt Ihr auf einen Kupfergong und erklärt, wer immer auch öffnet: >Wir sind jene, von Sapons hierherbefohlen<«.
Guyal runzelte die Stirn. »Was soll das heißen? Dieses
>wir«
»Das ist
Weitere Kostenlose Bücher