Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
jetzt die Wahrheit, damit sie als Lüge erscheint. Und als erschiene sie nicht nur so, sondern wäre es auch.
    »Woher weißt du das alles?«
    »Ich habe mich umgehört. Wenn jemand etwas wissen will, hört er sich um. Studiert das Für und Wider, hört sich um.« Die Antwort war sehr schnell gekommen, dann schwieg er. Mir war, als wollte er noch etwas hinzufügen, zum Beispiel, wo er sich umgehört hatte. Dem war nicht so. Die Unterbrechung, so mein Eindruck, hatte ihn irritiert, für den Augenblick hatte er den Schwung verloren, wenn nicht gar den Faden. Womöglich war er nervöser, als er vorgab. Er ging ein paar Schritte im Zimmer auf und ab und setzte sich dann in den Sessel, über dessen Lehne das Sakko hing und auf den er sich vorhin gestützt hatte. Immer noch befand er sich mir gegenüber, doch nun wieder auf gleicher Höhe. Er schob eine weitere Zigarette zwischen die Lippen, zündete sie nicht an, und als er wieder zu reden begann, wippte sie. Sie verdeckte nicht seinen Mund, sondern hob ihn hervor. »Das mit den Killern klingt gut, wenn man jemanden beseitigen lassen will, im Prinzip. Aber am Ende ist es immer gefährlich, mit ihnen in Verbindung zu treten, so viele Vorsichtsmaßnahmen man auch ergreift und sei es über Dritte. Oder Vierte und Fünfte; je länger die Kette, je mehr Glieder sie hat, desto schneller geschieht es, dass eines sich loshakt, ein Element außer Kontrolle gerät. Eigentlich wäre es das Beste, jemanden direkt, ohne Vermittler zu engagieren: der Planer des Todes dessen Vollstrecker. Aber natürlich wird keiner, der letztlich zahlt, kein Unternehmer, kein Politiker sich zeigen, sie wären zu sehr einer Erpressung ausgeliefert. Es gibt wirklich keinen sicheren Weg, keine geeignete Form, derlei anzuordnen oder in Auftrag zu geben. Hinzu kommen die unnötigen Verdächtigungen. Wenn ein Mann wie Miguel Opfer einer Abrechnung oder eines Auftragskillers zu sein scheint, dann wird nach allen Seiten ermittelt: Zuerst werden die Rivalen und Konkurrenten unter die Lupe genommen, dann die Kollegen, all die, mit denen er Geschäfte oder Abmachungen gehabt hatte, die Angestellten, die entlassen oder vorzeitig in den Ruhestand geschickt wurden, und zuletzt die Frau und die Freunde. Weit ratsamer, weit sauberer ist es, die Angelegenheit nicht im Geringsten danach aussehen zu lassen. So eindeutig sollte es als Unglücksfall erscheinen, dass es gar nicht nötig ist, jemanden zu verhören. Oder bloß den, der getötet hat.«

Sowenig es ihm auch gefallen mochte, ich wagte erneut einen Einwurf. Oder wagte ihn weniger, als dass er mir herausrutschte, ich konnte es mir nicht verkneifen.
    »Den, der getötet hat, der gar nichts weiß, nicht einmal, dass nicht er entschieden hat, dass man ihm die Idee in den Kopf gesetzt, ihn aufgehetzt hat. Den, der sich beinah im Mann geirrt hätte, ich habe die Zeitungen von damals gelesen; der kurz vorher noch den Chauffeur geschlagen hatte, den er ebenso gut hätte erstechen können und damit eure ganzen Pläne umwerfen, vermutlich musstet ihr ihn zurückpfeifen: ›Pass auf, der ist es nicht, es ist der andere Fahrer; den du geschlagen hast, der trägt keine Schuld, der führt nur Befehle aus.‹ Den, der getötet hat und sich nicht rechtfertigen kann oder der sich schämt, der Polizei und damit der Presse und aller Welt zu erzählen, dass seine Töchter Prostituierte sind, und lieber schweigt. Der die Aussage verweigert, dein armer Verrückter, und niemanden anschwärzt, bis er euch vor zwei Wochen eine Heidenschreck eingejagt hat.«
    Díaz-Varela sah mich mit einem Anflug von Lächeln an, wie soll ich sagen, voll Herzlichkeit, voll Sympathie. Ganz ohne Zynismus, nicht von oben herab, nicht spöttisch, nicht unangenehm, auch nicht in diesem düsteren Kontext. Als stellte er bloß fest, dass er meine Reaktion erwartet hatte, dass alles seinen vorgesehenen Gang ging. Er zündete zweimal das Feuerzeug an, nicht aber die Zigarette. Ich dagegen zündete mir eine an. Er sprach, Zigarette im Mund, weiter, am Ende würde sie ihm an der Lippe kleben bleiben, bestimmt an der oberen, die ich so gern berührte. Meine Unterbrechung schien ihn nicht zu ärgern.
    »Das war ein unverhofftes Glück, dass er die Aussage verweigerte, sich stur stellte. Damit hatte ich gar nicht gerechnet, nicht mit so viel. Bloß mit einer konfusen Geschichte, einer wirren Erklärung, Phantastereien, aus denen nur zu schließen war, dass die Pferde mit ihm durchgegangen waren, als Folge seiner

Weitere Kostenlose Bücher