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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Sessel mir gegenüber. Ich verlor ihn keinen Moment lang aus den Augen, so war es. Ich schaute auf seine Hände und schaute auf seine Lippen, durch sie sprach er, und es war meine Angewohnheit, sie waren mein Magnet. Er legte das Sakko ab und hängte es über die Lehne, wie früher immer. Dann krempelte er sich langsam die Hemdsärmel hoch, und wenn auch das normal war – zu Hause ging er immer hochgekrempelt, nur an diesem Tag hatte ich ihn mit zugeknöpften Manschetten gesehen und auch das nur für kurz –, war ich jetzt noch mehr auf der Hut, denn oft bereitet man sich so auf eine Arbeit vor, auf eine körperliche Anstrengung, und hier stand nichts dergleichen auf dem Programm. Als er mit dem Krempeln fertig war, stützte er die Arme auf die Sessellehne, als wollte er zu einer Rede ansetzen. Ein paar Sekunden lang betrachtete er mich auf diese aufmerksame Art, die ich kannte, und dennoch erging es mir wie früher schon: Ich wandte den Blick ab, verwirrt von seinen reglosen Augen mit dem weder durchsichtigen noch bohrenden Blick, vielleicht verschleiert und umfangend oder einfach nur unergründlich, jedenfalls gedämpft von der Kurzsichtigkeit (vermutlich trug er Linsen), als wollten mir die schmalen Augen sagen: ›Warum verstehst du mich nicht?‹, ohne Ungeduld, sondern voll Mitleid. Seine Haltung unterschied sich nicht von der anderer Abende, wenn er mir von
Oberst Chabert
oder sonst etwas erzählt hatte, was ihm gerade in den Sinn kam oder aufgefallen war, liebend gern hatte ich mir angehört, was es auch war. An anderen Nachmittagen oder Abenden, dachte ich, die schlimmste Tageszeit für Luisa, ja für die meisten, die Zeit des Zwielichts, die so besonders mühsam ist, und an diesen Abenden, an denen wir beide uns trafen – sofort merkte ich, dass ich in Gedanken zur Vergangenheitsform griff, als hätten wir schon Abschied genommen und jeder befände sich im Vorgestern des anderen; dennoch dachte ich weiter –, ging Javier nicht zu ihr, um sie zu besuchen, abzulenken, ihr Gesellschaft zu leisten, zur Hand zu gehen, bestimmt musste er hin und wieder – alle zehn, zwölf Tage – von der hartnäckigen Traurigkeit dieser Frau ausruhen, die er beharrlich liebte, auf die er mit grenzenloser Geduld wartete; bestimmt musste er von irgendwoher Energie schöpfen, von mir, einer anderen Intimität, einem anderen Menschen, um sie ihr dann weitergeben zu können. Vielleicht hatte ich ihr auf diese Weise ein wenig geholfen, unabsichtlich und unbewusst, auf indirektem Weg, es störte mich nicht. Von wem würde er sie wohl künftig schöpfen, wenn ich nicht mehr an seiner Seite war. Mich zu ersetzen, wird ihm kaum schwerfallen, so viel ist sicher. Mit diesem letzten Gedanken kehrte ich in die Gegenwart zurück.
    »Ich will nicht, dass du ein falsches Brandmal bekommst, das nicht zu den Tatsachen passt oder nur zum Vorgefallenen, nicht zum Motiv, nicht zur Absicht, geschweige denn zur Idee, zum Entschluss. Mal sehen, was für ein Bild du dir gemacht hast, welche Umstände du dir ausgedacht, welche Geschichte du dir erzählt hast: Ich habe Miguels Ermordung angeordnet, aus größter Distanz. Ich habe einen Plan entworfen, der nicht frei von Risiken war (allen voran das Risiko, dass er nicht aufging), jedoch jeden Verdacht von mir ablenkte. Ich hielt mich in weiter Entfernung, war nicht präsent, sein Tod hatte nichts mit mir zu tun, es war unmöglich, mich mit dem gestörten
Gorrilla
in Verbindung zu bringen, mit dem ich nie ein Wort gewechselt hatte. Andere waren dafür zuständig gewesen, sein Unglück zu erforschen und seinen schwachen Geist zu lenken, zu manipulieren. Miguels Tod erschien als schrecklicher Unfall, als entsetzliches Unheil. Weshalb ich nicht auf einen Killer zurückgegriffen habe, vermeintlich sicherer und einfacher? Heute lässt man sie von irgendwoher einfliegen, aus Osteuropa oder Amerika, und sie sind gar nicht so teuer: Hin- und Rückflug, Spesen und dreitausend Euro, mal mehr, mal weniger, je nachdem, sagen wir dreitausend, wenn man keinen Stümper oder Grünschnabel will. Sie tun ihren Job und verschwinden, und wenn die Polizei zu ermitteln beginnt, sind sie schon am Flughafen oder auf dem Rückflug. Der Haken ist, du hast keine Garantie, dass sie es nicht wieder tun, nicht für einen anderen Job nach Spanien zurückkehren oder sogar auf den Geschmack kommen und sich hier niederlassen. Manch einer, der ihre Dienste in Anspruch genommen hat, ist nachher höchst sorglos, muss partout einem

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