Die sterblich Verliebten
Freund oder Kollegen (
sotto voce
allerdings) denselben Typ empfehlen, der für ihn gearbeitet hat, oder denselben Mittelsmann, der sich seinerseits kein Bein ausreißt und denselben anruft oder herholt. Wer hier schon im Einsatz war, ist nicht mehr ganz sauber. Je öfter sie ihren Fuß hierhersetzen, desto wahrscheinlicher, dass man sie am Ende schnappt, dass sie sich an dich oder deinen Strohmann erinnern und eine Verbindung herstellen, die womöglich schwer zu kappen ist, manche begnügen sich nämlich nicht damit, die Hände in den Schoß zu legen und ab und an mal eine aufzuhalten. Und wenn man sie schnappt, singen sie. Selbst die Auftragskiller irgendeiner Mafia, die als Festangestellte hierbleiben, und davon treiben sich heute nicht wenige in Spanien herum, hier fällt immer mehr Arbeit an. Der Schweigekodex gilt kaum oder gar nicht mehr. Der Kameradschaftsgeist ist verlorengegangen, die Verbundenheit: Wenn einer erwischt wird, soll er sehen, wo er bleibt, Pech, ein Fehler dessen, der ins Netz gegangen ist, selbst schuld. Er ist entbehrlich, die Organisationen kümmern sich nicht mehr, haben bereits ihre Maßnahmen getroffen, damit der Schmutz sie nicht direkt bespritzt, die Killer tappen immer mehr im Dunkeln, kennen nur eine einzige Kontaktperson oder nicht einmal die: eine Stimme am Telefon, die Fotos der Opfer übers Handy. Also zahlen es die Verhafteten mit gleicher Münze heim. Heute will jeder bloß seine Haut retten, will Strafmilderung. Sie singen so viel wie nötig, danach wird man weitersehen, Hauptsache, nicht zu viel Zeit im Knast riskieren. Je länger sie schon hier sind, sesshaft und erreichbar, desto größer die Gefahr, dass die eigene Mafia sich ihrer entledigt: Sie sind nutzlos geworden, bloßer Ballast, rote Zahlen. Und da sie über die nicht viel zu singen haben, wollen sie sich lieb Kind machen: ›Wissen Sie, vor Jahren hatte ich schon einmal einen Auftrag von einem wichtigen Unternehmer, vielleicht war es auch ein Politiker, ein Bankier. Ich glaube, allmählich erinnere ich mich. Wenn ich mein Gedächtnis auswringe, was springt für mich heraus?‹ Mehr als ein Unternehmer ist deshalb schon im Gefängnis gelandet. Und so mancher Politiker in Valencia, du weißt ja, da tritt man besonders laut auf, das mit der Diskretion verstehen sie dort nicht.«
Woher weiß Javier das alles, fragte ich mich beim Zuhören. Ich musste an meine einzige wirkliche Unterhaltung mit Luisa denken, auch sie wusste von diesen Praktiken, hatte mir davon erzählt, sogar in ähnlichen Worten wie der in sie Verliebte: ›Sie lassen jemanden einfliegen, er erledigt seinen Job, wird bezahlt und zieht ab, alles an einem Tag oder in zwei, man findet sie niemals …‹ Damals hatte ich gedacht, dass sie es in der Zeitung gelesen oder Deverne davon hatte reden hören, letztlich war er ein Unternehmer. Vielleicht wusste sie es aber von Díaz-Varela. Allerdings gingen ihre Meinungen bezüglich der Wirksamkeit der Methode auseinander, die für ihn nicht taugte oder viele Nachteile mit sich brachte, er klang weit besser unterrichtet. Luisa hatte hinzugefügt: ›Aber auch in solchem Fall hätte ich diesen abstrakten Killer nicht richtig hassen können … Ganz anders bei den Anstiftern, ich könnte den einen oder anderen verdächtigen, einen Konkurrenten, einen Verärgerten oder Geschädigten, jeder Geschäftsmann hinterlässt Opfer, ungewollt oder nicht; ja sogar die befreundeten Kollegen, das habe ich gerade erst neulich im Covarrubias nachgeschlagen.‹ Sie hatte ihn sich gegriffen, einen mächtigen grünen Band, und mir einen Ausschnitt aus dem Artikel ›Neid‹ vorgelesen, sage und schreibe aus dem Jahr 1611, aus der Zeit Shakespeares und Cervantes’, vierhundert Jahre alt und immer noch gültig, es ist ein Jammer, dass manche Dinge sich im Grunde niemals ändern, und zugleich ein Trost, dass manches fortwährt, sich keinen Millimeter, keine Vokabel weiterbewegt: ›Am Ärgsten ist, daß dieses Gift oftmals dem Busen derer entspringt, die uns am meisten freund sind …‹ Javier schilderte oder gestand mir den ganzen Fall, jedoch nur als Hypothese und um ihn dann aller Voraussicht nach zu widerlegen; er beschrieb, was ich mir vorstellte, zu welchem Schluss ich gekommen war, nachdem ich ihn und Ruibérriz belauscht hatte, vermutlich, um es gleich darauf zu dementieren. Vielleicht will er mich mit der Wahrheit täuschen, dachte ich zum ersten Mal, und es sollte nicht das einzige bleiben. Vielleicht erzählt er mir
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