Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
aber gelegentlich muss man nur sagen, wie rettungslos man es ist oder war, und kann sich andere Erklärungen sparen. ›Er hat sie eben so geliebt‹, heißt es dann, ›dass er nicht wusste, was er tat‹, und die Leute nicken und haben Verständnis, als spräche man von etwas, was jeder kennt. ›Sie lebte durch und für ihn, es gab niemanden sonst auf der Welt, sie hätte alles für ihn geopfert, das Übrige war ihr einerlei‹, und schon begreift man die größte Niedertracht und Gemeinheit und entschuldigt sie manchmal sogar. Warum verlegt Javier sich nicht auf diesen krankhaften Zustand, den alle Welt erleiden zu können glaubt? Warum verschanzt er sich nicht dahinter? Er setzt ihn als selbstverständlich voraus, betont ihn jedoch nicht, schiebt ihn nicht vor, handelt gegen sein Interesse und gesellt sich zu verachtenswerten, kaltblütigen Gestalten. Ja, vielleicht ist es das: Je mehr er mich erschreckt und mir Panik einflößt, je mehr mich der Schwindel erfasst, desto bereiter werde ich sein, mich an jedweden mildernden Umstand zu klammern. Und wenn das seine Absicht ist, hat er sich nicht verrechnet. Ich sehne mich schon danach, nach einer Erklärung, einem mildernden Umstand, der mir ein wenig die Last nimmt. Schon ertrage ich diese Tatsachen nicht mehr so, wie sie sind und wie ich sie mir seit dem verfluchten Tag vorstelle, an dem ich hinter dieser Tür lauschte. Damals befand ich mich jenseits von ihr, wo ich niemals mehr sein werde, so viel ist jetzt sicher. Selbst wenn Javier herkäme, mich von hinten umarmte, mich mit Fingern und Lippen streichelte. Selbst wenn er mir Worte ins Ohr flüsterte, die er niemals ausgesprochen hat. Selbst wenn er mir sagte: ›Wie blind ich war, wie ist es möglich, dass ich dich nicht sah, zur rechten Zeit.‹ Selbst wenn er mich zu dieser Tür zerrte, mich anflehte.

Nichts davon würde geschehen, niemals. Nicht einmal, wenn ich ihn erpresste, wenn ich ihm drohte, es weiterzuerzählen, wenn ich ihn anflehte. Er hing immer noch seinen Gedanken nach, seltsam abwesend, den Blick weiter starr zu Boden gerichtet. Ich riss ihn aus seiner Versunkenheit, anstatt die Gelegenheit zu nutzen und zu verschwinden, es war zu spät dazu: Liebend gern hätte ich mich meinen düsteren Vermutungen überlassen und keinerlei Gewissheit gehabt, nachdem ich ihn angehört hatte; doch nun sollte er fortfahren bis zum Ende, damit ich sah, ob seine Geschichte etwas weniger böse, weniger traurig war, als sie klang.
    »Und du, was hast du gedacht? Wovon hast du dich überzeugt? Dass du bei dem Mord an deinem besten Freund nicht den kleinsten Finger im Spiel hattest? Schwer zu glauben, oder? So viel Autosuggestion bringst du nicht auf.«
    Er hob den Kopf, schob die Ärmel wieder bis zu den Unterarmen herunter, als wäre ihm kalt geworden. Aber die Niedergeschlagenheit oder Müdigkeit, die ihn befallen zu haben schien, konnte er nicht völlig abschütteln. Er sprach langsamer, weniger selbstsicher, weniger schwungvoll, sein Blick auf mein Gesicht und zugleich leicht ins Leere gerichtet, als befände ich mich in weiter Ferne.
    »Ich weiß nicht«, sagte er. »Oder doch, es stimmt, man weiß es, im Grunde weiß man die Wahrheit, wie auch nicht, wie sollte man sie ignorieren. Man weiß, dass man einen Mechanismus in Gang gesetzt hat, ihn anhalten könnte, nichts ist unvermeidlich, bis es geschehen ist und das ›später‹, mit dem wir alle rechnen, für einen bestimmten Menschen nicht mehr existiert. Aber das Delegieren hat etwas Geheimnisvolles an sich, ich sagte es bereits. Ich habe Ruibérriz beauftragt, und von dem Moment an, scheint mir, sind die Machenschaften nicht mehr ganz die meinen, verteilen sich zumindest. Ruibérriz wiederum gab einem anderen die Anweisung, dem
Gorrilla
ein Handy zu besorgen und ihn anzurufen, beide riefen sie abwechselnd an, zwei Stimmen überzeugen mehr als eine, und von beiden dröhnte ihm der Kopf; ich weiß nicht einmal genau, wie der andere es ihm zukommen lässt, das Handy, mir scheint, er legt es ins Auto, angeblich sein Wohnort, als hätte es jemand dorthin gezaubert, ebenso später das Messer, damit er nicht gesehen wird, nein, unmöglich, das Ergebnis von all dem vorherzusehen. Der andere, dieser Dritte, kennt jedenfalls weder meinen Namen noch mein Gesicht, ich umgekehrt auch nicht, und da er seinen Beitrag unbekannterweise leistet, rückt alles noch ein Stück weiter von mir ab, hat weniger mit mir zu tun, meine Teilnahme wird noch diffuser, nun liegt nicht

Weitere Kostenlose Bücher