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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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verstörte und sie in ihr weit verletzlicher und schwächer war als in der Vergangenheit und kehrte sie auch zu ihrem schmerzlichsten, endgültigsten Augenblick zurück, wie gerade eben. Ihre dunkelbraunen Augen waren hübsch in diesem Glanz, mandelförmig, eines sichtlich größer als das andere, ohne dass sie das im Geringsten hässlich gemacht hätte, sie waren eindringlich und lebhaft, während sie sich in den sterbenden Desvern hineinversetzte. Zweifellos war sie fast schön zu nennen, sogar inmitten ihres Kummers; umso mehr, wenn sie fröhlich aussah, wie ich sie an so vielen Morgen gesehen hatte.
    »Aber er konnte nichts dergleichen denken, wenn ich die Zeitungen richtig verstanden habe«, wagte ich anzumerken. Ich wusste nicht, was sagen, oder es gab nichts zu sagen, doch stumm bleiben schien mir auch nicht passend zu sein.
    »Nein, natürlich nicht«, entgegnete sie rasch, mit einer Spur Trotz. »Das konnte er auf dem Weg ins Krankenhaus nicht denken, denn da war er schon ohne Bewusstsein und hat es nicht wiedererlangt. Vielleicht aber im Voraus, etwas in dieser Art, während noch auf ihn eingestochen wurde. Unentwegt male ich mir diesen Augenblick aus, diese Sekunden, die der Angriff dauerte, bis er sich nicht länger wehrte und nichts mehr mitbekam, bis er die Besinnung verlor und nichts mehr fühlte, weder Verzweiflung noch Schmerz noch …« Sie überlegte einen Moment, was er noch empfunden haben konnte, kurz bevor er halbtot umgesunken war. »Noch Abschied. Ich habe niemals die Gedanken eines anderen gedacht, das, woran ein anderer denken könnte, nicht einmal bei ihm, das ist nicht meine Art, mir fehlt die Phantasie, mein Kopf gibt das nicht her. Jetzt dagegen mache ich das ständig. Ich sagte schon, mein Hirn hat sich gewandelt, als würde ich mich selbst nicht mehr kennen; ja als hätte ich mich mein ganzes Leben lang nicht gekannt, denke ich manchmal, und dann hätte auch Miguel mich nicht gekannt: hätte er gar nicht können, es hätte nicht in seiner Macht gestanden, ist das nicht seltsam?, wenn mein wirkliches Ich das ist, das hier ständig Dinge verknüpft, die mir vor ein paar Monaten noch grundverschieden und unvereinbar erschienen wären. Wenn mich sein Tod zu der macht, die ich bin, war ich für ihn immer eine andere und wäre weiter die geblieben, die ich nicht bin, immerfort, wäre er noch am Leben. Ich weiß nicht, ob du mich verstehst«, fügte sie hinzu, als sie merkte, wie widersinnig ihre Überlegungen waren.
    Für mich biss sich da die Katze in den Schwanz, aber ich verstand sie so ungefähr. Ich dachte: Dieser Frau geht es grauenhaft, und zu Recht. Ihre Trauer muss unermesslich sein, bestimmt grübelt sie Tag und Nacht über das Geschehene, stellt sich die letzten bewussten Augenblicke ihres Mannes vor, fragt sich, was er gedacht haben mag, wo er doch gewiss nur mit dem Versuch beschäftigt war, den ersten Messerstichen auszuweichen, zu fliehen, sich loszureißen, wenig wahrscheinlich ist es da, dass er ihr einen Gedanken gewidmet hat, nicht mal einen flüchtigen, bestimmt war er ganz auf den nahen Tod am Horizont konzentriert und darauf, ihn um jeden Preis zu vermeiden, allenfalls mag er grenzenlose Verblüffung, Fassungs- und Verständnislosigkeit gespürt haben, was geht hier bloß vor, wie ist das möglich, was tut dieser Mann, warum sticht er auf mich ein, warum auf mich unter Millionen, mit wem zum Teufel verwechselt er mich, sieht er nicht, dass nicht ich der Urheber seines Unglücks bin, wie lächerlich, wie elend, wie dumm, so zu sterben, wegen eines Irrtums, der Verblendung eines anderen, dazu so gewalttätig und von Hand eines Unbekannten oder so nebensächlichen Menschen in meinem Leben, dass ich ihn kaum beachtet habe und nur auf sein Betreiben hin, wegen seiner Aufdringlichkeit und Wildheit, weil er uns Ärger gemacht und Pablo eines Tages angegriffen hat, ein Kerl, mit dem ich weniger zu schaffen hatte als mit dem Apotheker an der Ecke oder dem Kellner im Café, in dem ich frühstücke, nichts als eine flüchtige, unbedeutende Episode, als brächte mich plötzlich die junge Besonnene um, die auch jeden Morgen dort frühstückt und mit der ich noch nie ein Wort gewechselt habe, Menschen, die nichts als schemenhafte Statisten sind, Randfiguren, die einen Winkel, den dunklen Hintergrund des Bildes bewohnen und die wir nicht vermissen, wenn sie verschwinden, es nicht einmal merken, das hier kann doch gar nicht sein, es ist zu absurd, zu unglaublich das Unglück, und

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