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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Beschuldigten reinwaschen, selbst ein Verräter kann manchmal den Verrat wiedergutmachen, bevor es zu spät ist. Doch beim Mord ist es leider immer zu spät, man kann der Welt niemanden zurückgeben, den man ihr genommen hat, das ist nicht rückgängig zu machen, dieser Schaden ist nicht zu beheben, und die künftige Rettung anderer Leben, so viele es auch sein mögen, macht niemals das eine wett, das man genommen hat. Und wenn es keine Vergebung gibt – heißt es –, macht man weiter auf die Tour, wann immer nötig. Nun kommt es nicht mehr darauf an, sich nicht die Finger schmutzig zu machen, da man im Innern bereits einen Fleck trägt, der sich nie entfernen lässt, sondern darauf, dass dieser nicht entdeckt wird, nicht durchschimmert, keine Folgen hat, uns nicht ins Verderben stürzt, und einen weiteren hinzuzufügen, ist nicht so schlimm, er verschmilzt mit dem ersten oder wird von ihm aufgesaugt, beide verbinden sich und werden zu einem, wir gewöhnen uns an den Gedanken, dass das Töten Teil unseres Lebens ist, unser Los, wie das vieler anderer im Laufe der Geschichte. Wir sagen uns, dass unsere Situation nichts Neues darstellt, dass Unzählige diese Erfahrung gemacht und mit ihr gelebt haben, ohne große Mühsal, ohne große Verzweiflung, ja sie zeitweise sogar vergessen konnten, jeden Tag ein bisschen in dem Tag-für-Tag, das uns trägt und vorantreibt. Niemand kann unentwegt etwas beklagen, sich unentwegt vor Augen führen, was er in ferner Vergangenheit einmal getan hat oder zweimal, siebenmal, immer kommen leichte Minuten ohne Kummer, die auch der schlimmste Mörder genießt, vermutlich nicht weniger als jeder Unschuldige. Also fährt er fort, sieht den Mord nicht länger als grauenhafte Ausnahme oder tragischen Irrtum, sondern als ein Werkzeug unter vielen, das das Leben den Kühnsten und Stärksten, den Zielstrebigsten mit dem größten Stehvermögen an die Hand gibt. Keineswegs fühlen sie sich allein, sondern in zahlreicher Gesellschaft, andauernd und von alters her, und diese Zugehörigkeit zu einer Art Geschlecht hilft ihnen, sich nicht ganz so verschmäht und sonderbar zu fühlen, sich selbst zu verstehen und zu rechtfertigen: als hätten sie ihre Taten geerbt oder als wären sie ihnen auf einer Jahrmarktstombola zugefallen, der keiner sich je hat entziehen können, und sie hätten sie im Grunde gar nicht vollends begangen, zumindest nicht allein.

»Ach, nur so, entschuldige«, entgegnete ich hastig und angesichts seiner Abwehrhaltung in einem so arglosen, so überraschten Ton, wie ihn meine Kehle nur herausbekam. Es war eine bereits verzagte Kehle, seine Hände konnten sie jeden Augenblick umgreifen und spielend zudrücken, immer fester, mein Hals ist schlank, er würde kaum Widerstand bieten, meine Hände hätten nicht die Kraft, die seinen loszureißen, seine Finger zu öffnen, meine Beine würden nachgeben, ich würde zu Boden sinken, er sich auf mich werfen wie so oft, ich würde das Gewicht seines Körpers spüren, seine Hitze – oder Kälte –, hätte keine Stimme mehr, ihn davon abzubringen oder anzuflehen. Aber es war eine eingebildete Furcht, das merkte ich, kaum hatte ich ihr nachgegeben: Díaz-Varela würde niemals eigenhändig jemanden aus der Welt befördern, wie er es auch bei seinem Freund Deverne nicht getan hatte. Es sei denn, er fühlte sich verzweifelt und unmittelbar bedroht, wäre überzeugt, ich würde direkt zu Luisa laufen und ihr erzählen, was ich durch meine Indiskretion zufällig erfahren hatte. Bei niemandem kann man sich sicher sein, das ist das Schlimme, die Furcht kam und ging, sie war fast willkürlich. »Ich habe nur so gefragt.« Und ich war so kühn oder unbesonnen hinzuzufügen: »Na ja, wenn dieser Ruibérriz gefällig ist, wer weiß, vielleicht kann ich dir auch einen Gefallen tun … Schön, ich glaube nicht, aber wenn ich dir irgendwie behilflich sein kann, zähl auf mich.«
    Er fixierte mich einige Sekunden lang, die sich für mich endlos dehnten, als wollte er mich abschätzen, in mir lesen, wie man jemanden anschaut, der den Blick nicht spürt, als wäre ich nicht da, sondern im Fernseher, und er könnte mich nach Herzenslust mustern, ohne sich darum zu scheren, wie ich auf dieses Insistieren oder Durchdringen reagierte, sein Blick war jetzt alles andere als träumerisch oder kurzsichtig, wie sonst immer, sondern war scharf und einschüchternd. Ich wandte die Augen nicht ab (schließlich waren wir Geliebte und hatten uns oft schweigend, fast

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