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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Aber jetzt war ich frei von diesen Ängsten, hatte begriffen, dass er mir nie etwas antun würde, nicht mit eigener Hand, nicht ohne Mittelsmänner. Durch die eines anderen, ohne dass er anwesend wäre, ohne zu wissen, wann, erst später, wenn es bereits geschehen und nicht mehr zu ändern wäre und er sich unwissend stellen und sagen könnte: ›Es hätte eine Zeit für solch ein Wort gegeben, sie hätte später sterben sollen‹, ja, das schon.
    Er ging in die Küche, brachte mir ein Glas und schenkte auch sich eins ein. Es gab keine Spur von zuvor geleerten, vielleicht hatte er es strikt vermieden, beim Warten auch nur einen Tropfen zu trinken, damit er einen klaren Kopf behielt, vielleicht hatte er die Zeit genutzt, um auszuwählen und zu ordnen, was er mir sagen würde, ja sogar einen Teil auswendig gelernt.
    »Gut, ich sitze. Schieß los.«
    Er setzte sich neben mich, allzu nah, was ich an einem anderen Tag wohl kaum empfunden hätte, es wäre mir ganz natürlich vorgekommen, nicht einmal aufgefallen, wie viel Distanz zwischen uns beiden war. Ich rückte ein wenig ab, nur ein bisschen, Abneigung wollte ich ihm nicht vermitteln und empfand körperlich auch gar keine, musste mir eingestehen, dass mir seine Nähe noch immer gefiel. Er trank einen Schluck. Zog eine Zigarette hervor, ließ mehrmals das Feuerzeug aufflammen, als wäre er in Gedanken oder müsste erst Anlauf nehmen, schließlich glühte sie auf. Er fuhr sich mit der Hand übers Kinn, es schimmerte nicht bläulich wie fast immer, so gründlich hatte er sich rasiert. Das war ihm genug Einleitung, er redete los und zwang sich hin und wieder zu einem Lächeln – als ermahnte er sich alle paar Minuten selbst dazu oder hätte es einprogrammiert und nur zu spät daran gedacht, es einzuschalten –, doch sein Ton war ernst.
    »Ich weiß, María, du hast uns gehört, Ruibérriz und mich. Es hat keinen Zweck, dass du es leugnest oder versuchst, mich vom Gegenteil zu überzeugen wie letztes Mal. Mein Fehler war es, all das zu sagen, während du in der Wohnung warst, nebenan, eine Frau, die an einem Mann interessiert ist, verspürt Neugier für alles, was ihn betrifft: für seine Freunde, seine Geschäfte, seine Vorlieben, was auch immer. Sie will alles wissen, ihn nur besser kennenlernen.« Es hat ihm keine Ruhe gelassen, wie ich vermutet hatte, dachte ich. Bestimmt ist er jede Einzelheit, jedes Wort noch einmal durchgegangen und zu diesem Schluss gelangt. Zum Glück hat er nicht gesagt ›eine Frau, die in einen Mann verliebt ist‹, auch wenn er das hat sagen wollen und so wahr es sein mag. Oder gewesen ist, ich weiß nicht mehr, jetzt kann es nicht mehr sein. Aber vor zwei Wochen war es so, Unrecht hat er also nicht. »Es ist geschehen und nicht zu ändern. Ich muss damit leben, mache mir nichts vor: Du hast gehört, was du nicht solltest, weder du noch sonst jemand, doch vor allem nicht du, wir hätten einen sauberen Abschied verdient, ohne ein Brandmal zu hinterlassen.« Er trägt nun die Lilie eingebrannt, dachte ich. »Nach dem Gehörten wirst du dir ein Bild gemacht, alle Umstände erwogen haben. Schauen wir uns dieses Bild an, das ist besser, als ihm aus dem Weg zu gehen oder so zu tun, als wäre es nicht in deinem Kopf, als existierte es nicht. Du wirst das Schlimmste von mir denken, und ich mache dir keinen Vorwurf, die Geschichte musste furchtbar für dich klingen. Abscheulich, nicht wahr? Es ist dankenswert, dass du trotzdem gekommen bist, es hat dich sicher Überwindung gekostet, mich wiederzusehen.«
    Ich versuchte, Einspruch zu erheben, ohne viel Nachdruck; er schien entschlossen, das Thema anzusprechen, mir keine Alternative zu lassen, mir unverblümt von seinem Mord per Auftrag zu erzählen. Gänzlich überzeugt konnte er nicht davon sein, dass ich Bescheid wusste, und dennoch setzte er zu einer Art Geständnis an. Vielleicht wollte er mich auch bloß ins Bild setzen, mir die Umstände mitteilen, sich wer weiß wie rechtfertigen, mir erzählen, was ich womöglich lieber nicht erfuhr. Mit Kenntnis der Einzelheiten würde es mir noch schwerer fallen, stumm oder tatenlos zu bleiben, was ich bis zu diesem Abend, so viel hatte er gewissermaßen erreicht, unwillkürlich gewesen war, ohne deshalb eine künftige Reaktion auszuschließen, das Morgen kann uns verändern und ein unkenntliches Ich bringen: Ich hatte stillgehalten und die Tage verstreichen lassen, die beste Methode, damit die Dinge der Wirklichkeit sich auflösen oder zersetzen, auch

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