Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
daß ihm nichts geschehen würde, blühte er auf. Auf einmal begann er es zu genießen, im Mittelpunkt der allgemeinen Aufregung zu stehen.
»Jemand hat sie angezeigt«, sagte er.
Nun war selbst Bess überrascht. »Angezeigt? Wer mag das gewesen sein?«
»Die Leute sagen, die Wirtin vom Oakwood House.«
»Natürlich, wer auch sonst! Bloß, warum erst jetzt?« Bess ließ sich auf einen Stuhl fallen und streckte die Beine von sich. »Na ja, nicht schade darum«, meinte sie gleichmütig, »ich denke ohnehin,
daß die Alte den Teufel im Leib hatte! Was meinst du dazu, Mary?«
Mary schien aus einer tiefen Betäubung zu erwachen.
»Die Wirtin«, murmelte sie, »Gott, wer hätte gedacht, daß das teuflische Weib so schnell zuschlägt?«
»Was meinst du?«
»Ach, nichts.«
Aber Bess bemerkte sehr wohl den Ausdruck der Gedankenabwesenheit und Unruhe auf Marys Gesicht.
»Hattest du in der letzten Zeit eine Begegnung mit der Wirtin?« fragte sie lauernd.
»Nein, hatte ich nicht.«
»Aber warum waren so viele Soldaten in Shadow’s Eyes?« murmelte Ambrose. »Sonst hätte sie Nan Mortimer gar nicht so bequem anzeigen können!«
Bess lächelte boshaft. »Frag das doch Mary! Frag Mary, warum so viele Soldaten hier sind!«
»Ich weiß es doch auch nicht.«
»Natürlich weißt du es. Sie suchen Priester und Nonnen, die den Aufstand planen – und solche, die ihnen dabei helfen! Ist es nicht so?«
»Wen interessiert es schon, wen die Soldaten hier suchen?« gab Mary zurück, aber sie war viel zu nervös, um Bess täuschen zu können. Die kicherte boshaft.
»Wann gehst du denn wieder mal nach Marmalon?« fragte sie. »Oder erscheint dir das im Augenblick zu gefährlich?«
Mary verließ stumm die Küche. Sie hätte kein Wort mehr herausgebracht, außerdem wollte sie nicht, daß ihre Familie merkte, wie ihre Hände zitterten. Sie sah durch das Flurfenster hinaus auf die Gasse, wo sich die Menschen wie schwache Schatten wieder auf ihre Häuser zu bewegten. Aber über all ihren Bewegungen, über ihren Gesichtern und ihrem Schweigen lag eine angstvolle, gespenstische Unruhe. Die Soldaten des König waren im Dorf, und jeder wußte, daß das noch nie etwas Gutes gebracht hatte. Es ging nun darum, die eigene Haut zu retten, und Mary wußte, daß dies schon immer die Menschen in skrupellose Geschöpfe verwandelt hatte,
die jeden erbarmungslos niedermachten, wenn es ihnen nützen konnte. Sie preßte die Lippen zusammen, um nicht zu weinen, dann trat sie einen Schritt zurück und stolperte über etwas, das sie bei näherem Hinsehen als Nans Messingkugel erkannte, die blankgeputzt und schillernd im Staub auf dem Fußboden lag. Mary hob sie auf, ließ sie leicht an ihrer Kette herumschwingen. Schwach spiegelte sich ihr eigenes Gesicht darin. Sie mußte an Nan denken und an ihr geheimnisvolles Flüstern, an die tausend Versprechungen, Botschaften, Bilder und Rätsel, die sie stets in dieser Kugel gesehen hatte. Und voller Angst fragte sich Mary, welches Schicksal Nan Mortimer an diesem Abend wohl Frederic Belville prophezeien würde, wäre sie noch in Freiheit. Sie selber konnte in dem glänzenden Metall nichts erkennen, aber eine düstere Ahnung und ein Gefühl der Angst bemächtigte sich ihrer, so daß sie mit einer heftigen Bewegung die Kugel in eine Ecke warf und die Treppe hinaufrannte in ihr Zimmer. Heute nacht würde sie beten, wohl wissend, daß Gott keinen Grund hatte, den Bitten einer so unsteten Dienerin des Glaubens Gehör zu schenken, aber getrieben von der Hoffnung, daß er, sollte es ihn doch geben, bereit wäre, ihr ihre Nachlässigkeit, ihre Zweifel und lasterhaften Gedanken zu vergeben; nicht zuletzt auch ihre Beihilfe zu Cavendors Ermordung, für die zu bezahlen sie bereit war, notfalls mit ihrem Seelenheil, aber nicht mit dem Leben von Frederic Belville.
Nan Mortimer, der Hexerei und der geschlechtlichen Liebe mit dem Teufel angeklagt, brachte Shadow’s Eyes um die Sensation einer öffentlichen Verbrennung, denn sie starb im Gefängnis, sogar noch ehe man sie hatte verhören oder foltern können. Das Dorf besaß keinen Gefängnisbau, aber einen alten, trockengelegten Brunnenschacht, in den man auf eisernen Sprossen hinuntersteigen konnte. Durch eine seitliche Tür gelangte man dann in ein vollkommen finsteres, kleines Steingewölbe unter der Erde. Der Raum war jetzt im Winter nichts als ein eisiges Grab, aber kein Mensch hatte daran gedacht, daß bei Schnee und gefrorenem Boden ein Lebewesen dort unten
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