Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
schuld, du hättest ja in London bleiben können.«
Mary erwiderte nichts darauf, und beide schwiegen eine lange Zeit. Sehr spät am Abend kehrten Ambrose und Edward zurück und mit ihnen der Metzger, Bess’ Mann, der seine Frau zu Hause vergeblich gesucht hatte.
»Ach, hier bist du, du Schlampe!« brüllte er. »Wie kommst du dazu, dich in der Gegend herumzutreiben, ohne mich zu fragen und die Kinder stundenlang allein zu lassen? Los, antworte mir!«
Bess sah ihn mit unnachahmlicher Verachtung an, wie das verletzender nur noch Lettice in ihren besten Zeiten gekonnt hatte. Ihr Mann stieß einen Wutschrei aus und schlug ihr mit geübter Brutalität, wie sie sein schmutziges Handwerk erforderte, ins Gesicht, so hart, daß sie rückwärts gegen die Wand taumelte.
»Laß dein überhebliches Getue, du Schlampe!« brüllte er. »Oder ich breche dir alle Knochen, verstanden?«
Bess’ Augen sprühten, aber sie wagte nicht, sich zu wehren.
Ambrose grinste. »Gut«, sagte er, »der einzige Weg, mit ihnen fertig zu werden. Noch ein halbes Jahr, und Bess kuscht, wenn sie dich nur sieht!«
Die Männer lachten und versicherten einander ihrer himmelhohen Überlegenheit. Sie setzten sich an den Tisch und machten sich über das Essen her, das Mary auftrug. Sie berichteten dabei, daß tatsächlich ein Kloster brannte, und unter den Leuten im Dorf einige Aufregung herrschte.
»Jetzt kommen die Mönche und ihre Helfershelfer dran«, stellte Edward zufrieden fest, »wird auch Zeit, findest du nicht, Mary?«
»Ich finde es abscheulich«, erwiderte Mary kalt.
Aus reiner Opposition gegen ihren Mann pflichtete Bess ihr bei.
»So kann der König das nicht machen«, sagte sie, »aber er ist eben auch nur ein Mann und deshalb ... « Der Metzger hob drohend den Arm, sie verstummte und schlug die Augen nieder.
Mary verbrachte den Abend in zitternder Spannung. Immer wieder lief sie die Leiter in ihre Kammer hinauf und sah zum Fenster hinaus, aber die Dächer der anderen Häuser versperrten ihr die Sicht. Wenn nur draußen in Marmalon alles ruhig war! Sie verkrampfte ihre Hände ineinander und preßte ihr Gesicht an die Wand. Die Nacht war kalt und eisig still und schien eine lauernde Gefahr in sich zu bergen. Aus der Küche drang gröhlender Gesang nach oben. Ambrose mußte äußerst guter Laune sein. Die Tatsache, daß es ganz so aussah, als werde es nun den katholischen Priestern ans Leben gehen, bedeutete einen persönlichen Triumph für ihn.
Als Bess und der Metzger weg waren und Ambrose und Edward im Bett, kehrte Mary in die Küche zurück, räumte das schmutzige Geschirr weg, wischte den Fußboden und stützte sich schließlich erschöpft, aber innerlich angespannt und zitternd auf den Küchentisch.
Ich werde kein Auge zutun heute nacht, dachte sie.
Schließlich raffte sie sich auf und ging in ihre Kammer. Als sie sich auf dem Strohlager ausstreckte, schlugen die Kirchenglocken 12mal. Dumpf hallten die Klänge durch die Winternacht. Mary starrte in die Dunkelheit, in der sie tausend tanzende Schatten zu sehen meinte. Wenn nur diese Nacht endlich vorbei wäre, wenn die Zeit vorbei wäre, die Frederic ihr aufgeladen hatte und die für immer in ihrer Erinnerung in einen kalten, undurchdringlichen Nebel der Angst gehüllt bleiben würde. Warum tat er das? Er wußte, daß er der Mittelpunkt ihres Lebens war, daß sie auf ihn ihre ganze Zukunft gründete. Sie liebte ihn – und in einem Gefühl von hilflosem, erstauntem Trotz dachte sie, daß diese Tatsache hätte ausreichen müssen, ihn von allem übrigen, was ihn bewegte, fort und zu ihr hin zu treiben. Die Einsicht, ihn zu teilen, mit seinem Haß auf den König, mit seiner Leidenschaft für Politik, mit seinen elenden Ansichten von Mut und Ehrbarkeit, diese Einsicht traf sie hart, aber nicht erst in dieser Nacht. Wenn sie zurückdachte an die Jahre ihrer beider Kindheit, jene verspielten, zauberhaften Jahre, dann meinte sie,
daß sie es von Anfang an hätte wissen müssen. Das blasse Gesicht des mageren Jungen unter den Kirschbäumen von Marmalon war zu ernst gewesen, die dunklen Augen zu leidenschaftlich und zu wissend. Wenn er von einer besseren Zukunft sprach, hatte er damit nicht nur Mary gemeint, und jetzt setzte er ihrer beider Zukunft gelassen aufs Spiel. Sie fand das einfach nicht richtig von ihm. Wenn ihm nur in dieser Nacht nichts geschah! Selbst wenn er sich nicht mehr in Marmalon aufhielt, mußte er immer noch in der Nähe sein, und jederzeit konnte ein Trupp
Weitere Kostenlose Bücher