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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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ihre Glieder durchlief ein Zucken. Später dachte sie, daß sie wohl in diesem Augenblick ohnmächtig geworden wäre, aber da entstand vor ihr plötzlich ein heftiger Tumult. Sie vernahm lautes Geschrei
und erkannte, daß eine Gruppe von Menschen in einen Kampf verwickelt war. Eine Frau schrie gellend auf.
    »Taschendiebe! Hilfe, haltet sie! Taschendiebe!«
    Mit rücksichtsloser Grobheit drängten sich drei Konstabler durch die Menge. Die Frau schrie noch immer.
    »Hilfe! Man hat mich bestohlen! Hilfe!«
    Irgend jemand sagte: »Verdammt!« und Mary merkte erst etwas später, daß das Nicolas gewesen war. Sie hörte einen anderen Mann, der laut brüllte:
    » Ich war es nicht. So laßt mich doch los! Der hier war es. Nicolas de Maurois, der größte Räuber von ganz London! Hier ist er! Verhaftet ihn!«
    »Was?« schrie Mary, aber niemand kümmerte sich um sie. Nicolas ließ blitzschnell ihre Hand los und stieß sie zurück. Sie wollte ihm nach, sich an ihn klammern, aber zwischen ihnen schloß sich die Menge wieder. Verzweifelt versuchte Mary, die Leute auseinanderzuschieben, aber sie war bereits zu schwach, um sich durchsetzen zu können. Die Haare fielen ihr in feucht verklebten Strähnen ins Gesicht und ihre Hände zitterten. Sie sah, wie Nicolas mitten in das Handgemenge hineingezerrt wurde, wie die Konstabler ihn und einen anderen Mann packten und mit sich zerrten. Von weither hörten sie den Hammer des Richters auf den Tisch fallen.
    »Ruhe dort hinten«, tönte eine scharfe Stimme, »Ruhe, oder wir lassen den Saal räumen!«
    »Zwei gottverdammte Taschendiebe!« schrie ein Konstabler. Mary schnappte nach Luft, ihr wurde schon wieder schwarz vor den Augen.
    »Aber es ist nicht wahr!« brüllte sie. »Er hat nichts getan! Sie müssen ihn loslassen, er hat überhaupt nichts getan! Nicolas! Nicolas ! « Ihre Stimme schnappte über, wurde schrill, ging über in ein erschöpftes Krächzen.
    »Lassen Sie mich doch vorbei! Bitte, lassen Sie mich vorbei!« Sie kam ein paar Schritte weiter, aber Nicolas war schon beinahe zum Saal hinaus. Er hatte sich kein einziges Mal nach ihr umgesehen. Mary begriff, daß er sie schützen wollte, deshalb hatte er sie auch sofort losgelassen und von sich geschoben.

    »O nein, Nicolas«, schluchzte sie kraftlos. Eine junge Frau sah sie mitleidig an.
    »Geht es Ihnen nicht gut? Sie sehen ja zum Gotterbarmen aus!«
    »Psst!« zischte es von allen Seiten. Man wollte endlich ungestört den Prozeß verfolgen. Mary griff nach der Hand der freundlichen Frau.
    »Würden Sie mir helfen«, flüsterte sie, »ich...« Sie brach jäh ab, krümmte sich mit einem Stöhnen nach vorne. Ein scharfer Schmerz war durch ihren Körper gegangen, so heftig, daß sie um Atem ringen mußte. Er verging so schnell, wie er gekommen war, aber Mary wußte, was das zu bedeuten hatte. Das Gesicht der freundlichen Frau war nun ganz dicht vor ihr.
    »Was ist mit Ihnen?«
    »Ich glaube, ich bekomme mein Kind«, stieß Mary keuchend hervor.
     
    Irgendwie gelang es ihnen schließlich, den Tower zu verlassen und hinaus in den frischen Frühlingswind zu treten, hinter sich die verklingende Stimme des Vorsitzenden Richters und die sanften Antworten von Anna Boleyn. Kirchenglocken läuteten die volle Stunde, vom Fluß her stank es nach Fisch und Algen, zwischen rasch dahintreibenden Wolken fielen warme Sonnenstrahlen zur Erde.
    Mary hielt sich an einer Mauer fest und versuchte sich zu orientieren. Der Schmerz war noch nicht zurückgekehrt, aber er lag auf der Lauer, und sie wußte, es war notwendig, daß sie nach Hause kam, so rasch wie möglich. Die fremde Frau hatte sie hinausgeleitet, gleich darauf aber versucht, sich wieder in den Saal zu drängen.
    »Geht es jetzt allein? « hatte sie gefragt. Mary hatte nicht gewagt, zu antworten, daß es keineswegs allein ging und daß sie dringend jemanden gebraucht hätte, der sie nach Hause brachte. Sie wollte der anderen nicht die Teilnahme an einem berühmten Prozeß verpatzen, nur weil ihr Kind ausgerechnet heute zur Welt kommen mußte.
    Die frische Luft tat ihr gut. Das Rauschen in ihren Ohren und das Flimmern vor ihren Augen ließen nach. Sie starrte die Straße entlang, die voller Menschen war. Keine Spur von Nicolas. Sie begann
erst jetzt langsam zu begreifen, was geschehen war. Sie hatten Nicolas verhaftet, offenbar im Zusammenhang mit einem Taschendiebstahl. Der Täter hatte Nicolas gekannt und rasch versucht, die Schuld auf ihn abzuschieben. Ein böse meinendes Schicksal

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