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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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von ihr hatte, sie sah nicht aus wie die lebenslustige, blühendschöne Mätresse, die den König in ihre Netze gelockt hatte, nicht wie die machthungrige Intrigantin, deretwegen England lutherisch geworden war. Die Vorstellung, daß diese Frau für so gefährlich gehalten wurde, daß ihr Kopf rollen mußte, machte jeden Anwesenden beinahe fassungslos, auch das Gericht. Was immer sie früher gewesen sein mochte, heute stand sie hier als eine Frau, die mit dem Leben bereits abgeschlossen hatte, daher fähig war, ruhig und würdevoll aufzutreten.

    Mary, zwischen heftigem Schwindel und einer magischen Anziehungskraft, die Anna Boleyn auf sie ausübte, schwankend, verharrte in dem ungeordneten Wirbel verschleierter Bilder, der vor ihren Augen kreiste. Ohnehin konnte sie im Moment weder vorwärts noch rückwärts, denn die schweigende Menge stand so unbeweglich wie eine Mauer. Nicolas hatte Marys Arm ergriffen und hielt ihn fest, sie spürte die beruhigende Wärme und Kraft seiner Hand. Solange er mich hält, wird mir nichts geschehen, dachte sie.
    Anna Boleyn wurde gefragt, ob sie sich der gegen sie erhobenen Anklage für schuldig erkläre, und sie verneinte das mit klarer Stimme. Ihr Auftreten war so sicher und unerschrocken, daß es keinen im Saal gab, der ihr ihre Worte nicht glaubte. Die Argumentationen des Gerichtes blieben mager und schwach. Es traten Zeugen auf, die als Beweis für Annas Untreue Begebenheiten aus dem täglichen Leben am Hof wiedergaben; so habe die Königin etwa manchmal zu den Worten des Königs spöttisch gelächelt oder sich einmal über seine Kleidung lustig gemacht. Die Geschworenen sahen sich hilflos um, Norfolk nickte bedeutungsvoll. Im Saal entstand Unruhe. Nicht einmal die ärgsten Gegner von Anna Boleyn konnten ihre Augen vor der Tatsache verschließen, daß dieser Prozeß eine reine Farce war, und daß die Art der Beweisführung beinahe schon eine Beleidigung für jeden Menschen mit Verstand war.
    »Es wäre ehrlicher gewesen, sie hätten auf diese Verhandlung verzichtet«, murmelte Nicolas, »Himmel, wenn die Geschworenen nur ein bißchen Mumm in den Knochen hätten, dann würde ihr Urteil auf Freispruch lauten. Aber das werden sie nicht riskieren. Sie wissen genau, was von ihnen erwartet wird.«
    »Und sie haben Smeatons Geständnis«, warf ein anderer ein, »ihr einziger Triumph. Darauf können sie zurückgreifen.«
    »Smeaton ist ein erbärmlicher Feigling«, knurrte Nicolas. Dann fühlte er den schmerzhaften Druck von Marys Fingernägeln in seiner Hand und sah zu ihr hin. Sie war blasser als die Angeklagte, ihre Lippen grau, Stirn und Nase feucht von Schweiß.
    »Ich muß hier hinaus«, flüsterte sie, »Nicolas, hilf mir, mir ist so elend! «

    Sie schwankte leicht, schloß für Sekunden die Augen, öffnete sie dann wieder zu einem entsetzten, schmerzerfüllten Blick. Sie wird doch nicht ihr Kind kriegen, dachte Nicolas, wie bringe ich sie bloß hier heraus?
    Er ließ sich seine Angst nicht anmerken. Sein Gesicht blieb ruhig, als er gelassen sagte:
    »Keine Sorge, Mary, ich bringe dich hier raus. Du mußt keine Angst haben.«
    Mary nickte schwach.
    »Ich glaube, es ist nur, daß dieses Gericht mich aufregt... die arme Königin, der verdammte Norfolk... wie kann der König das zulassen? «
    »Darüber solltest du jetzt nicht nachdenken. Du kannst es nicht ändern. Komm, halt meine Hand fest.«
    Vor Marys Augen verschwammen die Gesichter der Königin, der Geschworenen und der Richter mit den Gestalten der Zuschauer. Die Wände drehten sich, der Boden unter ihren Füßen kreiste, sie verlor völlig jeden Richtungssinn und ließ sich willenlos von Nicolas mitziehen. Wie halten die anderen das bloß aus, dachte sie wirr, oh, Nicolas, beeil dich, beeil dich doch!
    Während vorne einer der aufsehenerregendsten Prozesse der Geschichte seinen Verlauf nahm, versuchten Nicolas und Mary durch die schier undurchdringliche Mauer von Menschen hindurch, den Ausgang des Saales zu finden. Nicolas mußte um jeden Fußbreit Weg kämpfen, aber immerhin wichen manche Leute aus, als sie die totenbleiche Mary sahen.
    » Laßt doch das arme Ding vorbei! rief ein Mann. » Die fällt ja jeden Moment um!«
    »Unverantwortlich in ihrem Zustand!«
    »Diese jungen Frauen haben kein bißchen Verstand!«
    Mary leckte sich über die ausgetrockneten Lippen. Alle Stimmen waren weit weg. Es wird besser, wenn ich erst draußen bin, sagte sie sich beschwörend, bis dahin halte ich durch. Ihre Beine gaben nach, all

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