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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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hatte ihn gerade zum Zeitpunkt der Tat dort stehen lassen, wo sie verübt wurde.
    Welch eine Ironie, dachte Mary. Es war das letzte, was sie bewußt dachte, dann stieg der Schmerz wieder in ihr auf und betäubte ihre Angst um Nicolas. Während sie sich nach vorn neigte, um die Schmerzwelle in zusammengekrümmter Haltung über sich ergehen zu lassen, dachte sie: Es wird alles gut werden, er ist unschuldig, und sie können ihm nichts tun. Und ich kann mich jetzt nicht darum kümmern. Ich muß nach Hause und dieses Kind zur Welt bringen. Später – später werde ich Nicolas suchen!
    Mühsam schleppte sie sich voran. Jeder einzelne Schritt nötigte ihr ihre ganze Willenskraft ab. Es waren weniger Schmerzen, die sie quälten, denn die kamen noch in recht großen Abständen, aber sie fühlte sich so schwach, daß sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Sie hätte ein Vermögen dafür gegeben, sich nur einen Moment irgendwo hinsetzen zu können, aber sie wußte, gäbe sie erst einmal nach, so stände sie überhaupt nicht mehr auf.
    Als sie endlich das Sherwood Inn erblickte, brach sie vor Erleichterung fast in Tränen aus. Sie stieß die morsche Tür auf und taumelte beinahe in Wills Arme, der gerade aus seinem Zimmer geschlurft kam.
    »O Will, Will, Sie müssen mir helfen!« Sie sank auf einen Stuhl, ließ ihren Mantel von den Schultern gleiten und strich sich die wirren Haare aus dem Gesicht.
    »Will, das Kind...«
    Will war nicht leicht aus der Fassung zu bringen, aber jetzt sah er erschüttert und hilflos drein.
    »Ja... das Kind... was soll ich tun...« Er starrte auf die zusammengesunkene Frau vor sich, dann blickte er sich im Zimmer um, als erwarte er von irgendwoher Beistand.
    »Ich weiß nicht... wo ist denn Nicolas?«
    Mary stöhnte leise, denn nun wurden die Schmerzen heftiger.

    »Der ist nicht da. Sie haben ihn verhaftet! O Gott, warum hilft mir denn niemand?«
    »Verhaftet? Sie haben Nicolas verhaftet? Warum haben sie ihn verhaftet? Er...«
    »Ja, Herrgott noch mal, sie haben ihn verhaftet. Aber es ist ein Irrtum, sie müssen ihn wieder laufen lassen. Will, passen Sie auf, ich kann jetzt wirklich nicht an Nicolas denken.« Sie erhob sich mühsam.
    »Ich gehe jetzt hinauf. Und Sie laufen los und schaffen mir eine Hebamme herbei. Und zwar möglichst schnell!«
    »Wo findet man denn so etwas? Ich habe keine Ahnung...«
    Seine Hilflosigkeit machte Mary wütend. Unbeherrscht fuhr sie ihn an:
    »Will, zum Teufel, Sie werden doch in der Lage sein, eine Hebamme zu finden und herzubringen. Fragen Sie irgendeine Frau aus der Nachbarschaft, die wird es wissen. Und stehen Sie nicht herum, sondern gehen Sie!« Sie wandte sich ab, um ihm keine Gelegenheit zu weiteren Fragen zu geben. Schwerfällig kletterte sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf. Der Anblick der vertrauten Räume rief Angst in ihr wach. Lieber Himmel, Nicolas würde doch nichts geschehen? Es kam ihr vor, als habe sie noch immer nicht genau begriffen, was gerade passiert war. Ihr Kind war nun so viel wirklicher als alles andere, es verdrängte die nebelhaften Ereignisse des Tages. Sie blickte auf das Frühstücksgeschirr, das noch auf dem Tisch stand, Nicolas’ Teller, auf dem ein von ihm angebissenes Stück Brot lag, und reuevoll erkannte sie, daß sie sich im Moment nicht halb so viele Sorgen um ihn machte wie um sich. Sie bekam ihr erstes Kind, und sie hatte entsetzliche Angst. Sie hätte am liebsten geweint, so fürchtete sie sich. Sie war so grenzenlos allein, kein Mensch kümmerte sich um sie, eine schwere Geburt hatte man ihr prophezeit, und niemand ließ sich blicken, der ihr helfen wollte. Gott mochte wissen, wann Will zurückkäme! Sie schleppte sich ans Fenster, um auf die Straße zu blicken, aber sie konnte Will nicht entdecken.
    »Lieber Gott«, murmelte sie unwillkürlich, hoffend, daß Gott es ihr verzieh, daß sie sich nach so langer Zeit erst in einer Notlage wieder seiner entsann. Langsam streifte sie ihre Kleider ab und kletterte
in ihr Bett. Es tat ihr gut, sich auszustrecken und in eine Decke zu kuscheln, aber die Erleichterung währte nur kurz, dann mußte sie die Lage schon wieder wechseln, weil sie es nicht mehr aushielt. Sie jammerte leise, weil ihr das half, und starrte zum Fenster hinaus auf den Himmel, über den regenschwere, graue Wolken im Frühlingswind trieben. Vorhin war das Wetter heiter gewesen, jetzt zog es sich zu, manchmal wurde es tiefdunkel, dann wieder riß der Wind die Wolken stürmisch auseinander und die

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