Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
die Tasche ihres Kleides und zog ein Stück Papier heraus; Nicolas’ letzter Brief, seine Antwort auf ihre Nachricht, daß sie Rosewood erworben hatte.
»Meine Liebste, ich beglückwünsche Dich«, schrieb er, »ich weiß nicht, wie Du das gemacht hast, aber es erstaunt mich kaum, denn Du wirst immer bekommen, was Du willst. Vielleicht hast Du jetzt Deine beste Zeit vor Dir – ich wünsche Dir Kraft und Mut, aber beides besitzt Du ohnehin. Paß ein bißchen auf Dich auf, daß Du nicht zuviel arbeitest...«
Mary war enttäuscht gewesen, sie hatte erwartet, daß Nicolas begeistert wäre, daß er schreiben würde, wie sehr er sich freue. Aber er
hatte gar nichts von sich geschrieben, so, als gehe ihn diese Sache nichts an. Aber wie krank mochte er wohl schon sein? Sein Bild tauchte vor ihren Augen auf, Nicolas im Kerker, auf Stroh, zwischen nassen, kalten Steinen und krabbelndem Ungeziefer. Gerade jetzt tat ihr diese Vorstellung so weh, daß sie leise stöhnte. Sie konnte es nicht ertragen, an ihn in diesem Verlies zu denken. Mit beiden Händen umklammerte sie die Lehne eines Sessels.
»Ich darf meine Kraft nicht verschwenden, indem ich an ihn denke«, sagte sie laut, »ich kann ja nichts tun. Ich darf nur an Marmalon denken. Aber, lieber Gott, bitte gib ihn mir zurück! Wenn es sonst nichts ist, was du mir schenkst, wenn ich mir alles erkämpfen und ertrotzen muß und alt werde und unansehnlich darüber, ich halte es schon aus. Aber Nicolas gib mir bitte zurück.«
In aller Frühe am nächsten Morgen ritt Mary mit Mackenzie über die Felder, um sich jeden Winkel von Marmalon zeigen zu lassen. Es hatte sie erstaunt, zu sehen, welch schöne und gepflegte Pferde Mackenzie aus dem Stall führte. Sie hatte erwartet, die Tiere in einem ähnlichen Zustand zu finden wie das übrige Gut, aber sie stellte fest, daß Pferde offenbar das einzige waren, was Mackenzie Sorgfalt und Mühe abnötigte. Die Pferde liebten ihn und lauschten aufmerksam auf seine tiefe, warme Stimme. Mary mußte lächeln, als sie bemerkte, wie deutlich er seinen Besitzerstolz zur Schau stellte und auf ein Lob von ihr lauerte.
»Die Pferde sind sehr schön«, sagte sie entgegenkommend, »Sie lieben Pferde, Mr. Mackenzie?«
»Über alles. Und sie lieben mich.«
»Ja, das kann man spüren. Wie viele Pferde haben wir?«
»Drei Hengste und acht Stuten. Zwei sind trächtig, eine hat gerade gefohlt. Ein besonders schönes Tier.«
»Und Sie verkaufen die Pferde?«
Über Mackenzies Gesicht glitt ein Schatten, als er heftig erwiderte: »Nein! Damit sie dann hinterher irgendwelchen Schindern in die Hände fallen! Ich habe noch nie ein Pferd verkauft!« Mary sah ihn überrascht an. Soviel Leidenschaft hätte sie in Mackenzie nie vermutet.
»Ich verstehe Sie«, sagte sie sanft, »ich möchte auch keine Pferde verkaufen. «
Mackenzie lächelte spöttisch.
»Ich sehe, wir werden besser miteinander auskommen, als ich anfangs dachte.«
Marys Gesicht verschloß sich wieder. Sie fand seinen Ton unpassend. Wir werden kaum gut miteinander auskommen, dachte sie grimmig, denn noch heute wirst du entlassen.
Die Wege, über die sie ritten, waren voller Unkraut und manchmal so von Gräsern und Büschen überwuchert, daß man sie kaum noch erkennen konnte. Rechts und links dehnten sich weite Felder bis zum Horizont, aber nur auf einigen wogte heranwachsendes Korn. Die meisten standen voll von Disteln. Mary geriet ganz außer sich, als sie das sah.
»Das Land ist doch so fruchtbar!« rief sie. »Warum haben Sie es nicht bebaut?«
»Ich bin ganz allein, Madam. Und ich...«
»Ich habe Ihnen bereits gesagt, England ist voll von Menschen, die Arbeit suchen. Ich glaube, es macht Ihnen zuviel Mühe, sie einzustellen und zu beaufsichtigen!«
»Wissen Sie, ich...«
»Ich habe bis jetzt in London gelebt und ich weiß sehr genau, wie groß die Nachfrage in den Städten nach Getreide, Obst und Gemüse ist. Der ehemalige Kirchenbesitz verwildert, es herrscht großer Mangel an Lebensmitteln, die Preise steigen von Tag zu Tag. Sie ahnen ja gar nicht«, sie machte eine das ganze Land umschreibende Bewegung mit den Armen, »Sie ahnen nicht, wieviel Geld in diesem Boden liegt.«
»Wenn Sie es sagen, wird es so sein«, meinte Mackenzie gleichgültig, »ich denke, wir beide werden...«
»Nein«, unterbrach Mary ihn hart. Sie zügelte ihr Pferd und sah Mackenzie an.
»Hören Sie zu, es tut mir leid, aber ich werde... ich werde...« Sie stockte und ihre Stimme verlor an
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