Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
treu geblieben. In Schimpf und Schande davongejagt, irrten sie seither heimatlos durch die Lande. Sie lebten nach wie vor nach den Bestimmungen ihrer Kirche, das bedeutete, sie hielten am Zölibat fest und führten keine Familien mit sich. Manche waren so entkräftet, daß sie sich nur noch mühsam nach Marmalon schleppten und im wuchernden Unkraut des Vorgartens zusammenbrachen.
»Meine Güte, und diese Leute soll ich auf die Felder schicken!« sagte Mary zu Will, mit dem gemeinsam sie den Elendszug von einem der oberen Fenster aus beobachtete. »Die können ja jetzt schon kaum noch laufen!«
»Eine ganze Kirche ist zusammengebrochen, und jeder Zusammenbruch bringt solche Kreaturen hervor. Sei froh, Mary, daß du auf der besseren Hälfte stehst!« Sie schauderte, weil sie daran dachte, wie dicht manchmal Unheil und Rettung in ihrem Leben beieinander gelegen hatten. Will fuhr fort:
»Es sind ein paar Kräftige dabei. Mackenzie wird schon die Richtigen herausfinden.«
»Und die anderen werden wieder fortgeschickt«, sagte Mary hart. »Ich werde Dilys sagen, daß sie allen etwas zu essen geben soll. «
Was sollte sie schließlich tun? Sie konnte kein Armenhaus eröffnen. Zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich feige, verkroch sie sich den ganzen Tag über in ihrem Zimmer und überließ die Auswahl Mackenzie, der hart genug war, sie durchzuführen. Tatsächlich war am Abend eine Gruppe von dreißig Männern zusammen, von denen jeder so aussah, als könne er hart mit anpacken. Natürlich trugen sie zerfetzte Kleider, hatten verfilzte Haare und wuchernde Bärte und wurden vom eigenen Ungeziefer schon beinahe
aufgefressen, aber ihre muskulösen Arme und Beine verrieten, daß sie mit der Landarbeit vertraut waren. Sie wurden in kleinen Hütten hinter dem Herrenhaus untergebracht, die tagsüber von Allison und Mrs. Mackenzie notdürftig gesäubert worden waren. Mary, die ihnen ein Abendessen bringen ließ, war doch erschrocken, als sie sah, mit welchem Heißhunger sich die Leute über die Mahlzeit hermachten. Wenn das so bliebe, dann würden sie Marmalon noch völlig kahl essen. Sie sprach mit Mackenzie darüber, aber der sah keine Schwierigkeiten.
»Die kriegen soviel, wie Sie hergeben können, Madam«, meinte er, »mehr nicht. Wem das nicht paßt, der kann ja gehen.«
»Die Männer müssen sehr hart arbeiten, ich kann sie nicht hungern lassen. Ach, Mackenzie, dieses Jahr, nur dieses Jahr muß ich überstehen, dann geht es mir besser. Und wenn ich erst reich bin, dann werde ich großherzig und gütig sein und jeden Bettler füttern, der vor meine Tür kommt.«
»Sie sollten nie zu leichtsinnig werden. Ein Jahr der Trockenheit oder ein Hagelsturm oder der Weizen hat den Brand, und schon ist alles wieder ganz unten.« Mackenzie sprach gelassen, aber Mary meinte einen hämischen Unterton in seiner Stimme zu hören. Aus irgendeinem Grund genoß er es, Mary schwach zu erleben. Wahrscheinlich, so dachte sie, hatte sie ihn gleich zu Anfang zu sehr gedemütigt und er hatte seinen Zorn verschluckt und wartete nur darauf, sie mitsamt Marmalon untergehen zu sehen. Oder es paßte ihm nicht, nach Jahren der Bequemlichkeit wieder herumkommandiert zu werden, und dann noch von einer Frau. Auf jeden Fall machten seine Worte Mary zornig und hilflos. Die Schwierigkeiten türmten sich vor ihr, und es gab keinen, der ihr Mut zusprach. Ein Heer von Schwarzsehern umgab sie, und jeder malte ihr die Zukunft in immer erschreckenderen Farben aus. Niemals hatte sie Nicolas heftiger herbeigesehnt. Sie wußte, er hätte gelächelt, seine Augen hätten sie zärtlich, belustigt und zugleich voller Anerkennung gestreichelt, er hätte sie in die Arme genommen und gesagt:
»Oh, Liebling, wie tapfer und stark du bist! Marmalon wird das schönste Gut auf der Welt sein. Sieh doch nur, wie herrlich hier alles wächst und blüht!«
Aber er war nicht bei ihr. Sie riß sich aus ihren Gedanken und sah in Mackenzies lauerndes Gesicht.
Wenn es mir zu dumm wird, werfe ich ihn hinaus, dachte sie. Laut sagte sie:
»Es ist gut, Mackenzie, Sie können gehen. Und denken Sie daran, wir haben einen anstrengenden Sommer vor uns.«
»Ich weiß. Gute Nacht, Madam.« Mackenzie entfernte sich lautlos. Stille senkte sich über das Zimmer und nur das zarte Zirpen der Grillen klang durch das geöffnete Fenster aus der Dunkelheit.
Nicht einmal Mary hatte geglaubt, daß der Sommer so schwierig werden würde. Zwar hatten sie Glück mit dem Wetter, es herrschte eine
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