Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
Sitzes. Sie hatte die letzten Stunden verschlafen und tauchte nun bleich, übermüdet und verdrießlich aus ihren Träumen auf.
Mary strich ihr die wirren Haare aus dem Gesicht.
»Wir sind da«, antwortete sie, bebend vor Erregung, »sieh hinaus, Liebling. Das ist unser Marmalon!«
Auf Jane hatte der Anblick schattiger Wiesen und vom letzten Licht des Tages angehauchter Bäume keineswegs dieselbe Wirkung wie auf ihre Mutter. Sie wußte nur, daß sie seit dem frühen Morgen in dieser fürchterlich schaukelnden Kutsche gesessen hatte und sich ganz und gar durchgerüttelt fühlte, daß sie in ihr altes, vertrautes Bett im Sherwood Inn wollte, aber von ihrer Mutter aus unbegreiflichen Gründen in diese wildfremde Gegend verschleppt worden war. Wie gewöhnlich, wenn sie nicht wußte, was sie sonst tun sollte, fing sie an zu weinen.
Mary achtete nicht darauf. Als der Wagen vor dem Portal hielt, öffnete sie ohne Umschweife die Tür und kletterte hinaus auf unkrautbesetzten Rasen. Der Wind zerrte an ihren Haaren, sie hob ihr Gesicht zur Sonne hin und ließ den warmen, rötlichen Glanz für einen Moment auf ihren Augenlidern verweilen.
Als sie sich dann umsah, dachte sie: Lieber Gott, ist es schön! Aber völlig verwildert.
Sie wandte sich wieder der Kutsche zu.
»Will, komm, wir sind da. Und Jane, hör auf zu weinen, es ist so schön hier. Komm, steig aus!«
Nacheinander schoben sich Will und Jane aus der Kutsche, steif und ungelenk nach der langen Fahrt und noch ganz verwirrt von den vielen Eindrücken, die an diesem Tag vorübergezogen waren. Der alte Hund war so unbeweglich, daß Mary ihn hinausheben und vorsichtig auf seine wackligen Beine stellen mußte. Er gähnte verwundert, machte ein paar Schritte und legte sich schwerfällig ins Gras.
»Wie findest du es, Will?« fragte Mary. »Ist es nicht herrlich?« Sie zeigte nicht die Spur von Müdigkeit und in ihren Augen lag ein so lebendiger Glanz, daß Will sich nur noch erstaunt fragte, woher diese zierliche Frau soviel Schwung nahm. Sie stand auf ihrem eigenen Grund und Boden, mit nichts weiter in der Hand als einer sorgfältig zusammengerollten Besitzurkunde, die sie wie ein Schwert vor sich hertrug, und die endlosen Meilen Land, die bröckelnden Steine des Hauses, das Unkraut erschreckten sie gar nicht. Ihr
blaues Kleid hing zerknittert an ihr herunter, sie trug keine Handschuhe und keine Haube, ihr Haar wehte im Wind und sie hatte einen Ausdruck auf dem Gesicht, von dem Will dachte, daß so die siegreichen Römer auf ihren Triumphzügen ausgesehen haben mußten.
Er lächelte ihr zu und sagte: »Gut gemacht, Mary.«
Wie sie es genau gemacht hatte, wußte er nicht, denn an seinem Lebensprinzip, keine unnötigen Fragen zu stellen, hielt er eisern fest. Daß es in Marys Leben Untiefen gab, war ihm klar, und daß es fragwürdige Wege gewesen sein mußten, die sie in den Besitz von Rosewood gebracht hatten, auch. Doch das, fand er, mußte sie mit sich allein ausmachen.
Noch während sie sich umblickten, öffnete sich die Haustür und ein nicht mehr ganz junger, schlampig gekleideter Mann trat heraus. Er hatte dichtes, dunkles Haar, eine hochgewachsene, kräftige Gestalt und ein schmales Gesicht, in dem Blässe unter der Sonnenbräune lauerte. Als er die Stufen hinunterkam, schwankte er einmal leicht.
»Guten Abend«, sagte er, »ich bin Charles Mackenzie, der Verwalter von Rosewood.«
»Ich bin Mary de Maurois«, entgegnete Mary, »das ist meine Tochter Jane und dies ein guter Freund, Will Shannon, mit seinem Hund. Sie wissen, weshalb wir kommen?«
Mackenzie nickte.
»Ich habe eine Nachricht bekommen von Miss Brisbane. Danach gehört Rosewood jetzt Ihnen, Mrs. de Maurois. Umstürzende Veränderungen, scheint mir. Aber ein schönes Gut haben Sie da erworben. «
»Mir scheint es ein wenig heruntergekommen. Weder Haus noch Land befinden sich in einem guten Zustand.«
»Die Zeiten, Madam. Hohe Steuern, wenig Arbeitskräfte. Ich...«
»Oh, verzeihen Sie, da muß ich Ihnen widersprechen. Bessere und billigere Arbeitskräfte als jetzt gab es nie. Die heimatlosen Mönche flehen geradezu um Arbeit. Nein, Mr. Mackenzie, hier muß sich manches ändern.«
Mackenzie zog hochmütig eine Augenbraue hoch, erwiderte aber nichts. Mit dieser Frau umzugehen würde nicht allzu leicht sein. Die schönen, faulen Zeiten schienen vorbei. Lady Cathleen hatte sich kaum um Rosewood gekümmert, und nur Miss Brisbane war manchmal gekommen, hatte sich angewidert umgesehen, ihm
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