Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
klingt aber verrucht«, kicherte Patricia. Mary lächelte gequält.
»Aber unter uns gesagt«, fuhr Patricia fort, »auf ein Abenteuer hätte ich auch manchmal Lust! Immer nur den gleichen Mann... naja, Sie haben es da sicher viel schwerer, der Versuchung zu widerstehen, nicht? Ihr Mann ist wirklich nie da?«
Ihre Augen funkelten vor Sensationsgier. Mary merkte, wie ihre Wangen zu glühen begannen, als sie an Mackenzie und seine Umarmung dachte, aber es gelang ihr, den Blicken ihres Gegenübers ohne Flackern standzuhalten.
»Ich habe so viel zu tun«, entgegnete sie kühl, »daß ich nicht dazu komme, über Männer nachzudenken.«
»Ja, natürlich«, murmelte Patricia enttäuscht. Sie tauschten noch ein paar nebensächliche Bemerkungen aus, dann erhob sie sich endlich. »Ich denke, ich sollte mich auf den Heimweg machen«, sagte sie, »es ist stockdunkel draußen!«
»Es ist ja auch schon recht spät!« Der spitze Unterton entging Patricia völlig. Kokett trippelte sie zur Tür.
»Sie müssen mich auch bald einmal besuchen kommen«, verlangte sie, »Sluicegates ist wunderschön und ich würde es Ihnen so gern zeigen.«
»Ja, ich werde kommen. Wenn das Wetter besser ist.«
»Aber vergessen Sie dann nicht Ihre kleine Tochter. Sie und mein Henry vertragen sich wunderbar. «
»Ich bringe sie mit.« Mary war am Ende ihrer Geduld. Wenn sie es richtig einschätzte, so war Patricia eine jener Frauen, die nach der ersten Ankündigung, sie müßten nun gehen, noch lange brauchten, ehe sie den Abschied vollzogen. Tatsächlich fiel Lady Claybourgh auf jeder einzelnen Treppenstufe noch etwas ein, worüber sie unbedingt sprechen mußte. Als sie endlich unten anlangten und hinaus in das abendliche Schneegestöber traten, war Mary erschöpft und vor Wut den Tränen nahe. Mechanisch sagte sie zum Abschied: »Grüßen Sie bitte Ihren Mann, Lady Claybourgh!«
Zu ihrem Schrecken fuhr Patricia sofort wieder herum und
strahlte sie an. »Lieber Gott!« rief sie. »Wie gut, daß Sie mich daran erinnern! Fast hätte ich vergessen, es zu erwähnen. Mein lieber Archibald, wie stolz kann ich auf ihn sein! Denken Sie nur, vom nächsten Frühjahr an ist er als Oberbeauftragter für die Steuereinziehung in der Grafschaft Essex eingesetzt! Das ist eine große Ehre, finden Sie nicht auch? Von London aus ist er dazu berufen worden. Ach, meine Liebe, ist es nicht wundervoll?«
Das Jahr 1542. brach dunkel und kalt an, und schon bald zeichnete es sich ab, daß harte Zeiten für England bevorstanden. Im Februar wurde Catherine Howard, die fünfte Gemahlin des Königs, in London hingerichtet; sie war des wiederholten Ehebruchs überführt worden. Der Platz an Henrys Seite war damit wieder frei und jeder ahnte, daß es schon sehr bald wieder stürmische Versuche geben würde, eine sechste Frau auf den englischen Thron zu heben und damit der einen oder anderen politischen Auffassung zu nutzen. Unversöhnlich standen sich die verschiedenen Glaubensrichtungen gegenüber, während der König in allem, was er tat, nur von dem Wunsch geleitet wurde, in Freundschaft mit dem Kaiser zu verbleiben und dennoch die von Rom unabhängige, alleinige Herrschaft über die englische Kirche zu bewahren. Er mußte vorsichtig agieren, denn Gerüchten zufolge stellte der katholische schottische König James gerade ein Heer auf, und das konnte nur bedeuten, daß er vorhatte, von Norden her in England einzufallen. Man munkelte außerdem, daß dies alles mit Wissen und Einverständnis von Frankreich geschähe, weshalb Henry sich auf einen Krieg an zwei Fronten vorzubereiten hatte. Im Land schwelte Aufruhr. Viele Männer, vor allem in den nördlichen Provinzen, gingen leise in ihre Scheunen oder an alte Truhen heran und suchten ihre Schwerter hervor, fuhren prüfend mit dem Finger an der Schneide entlang und hielten das Eisen in die Höhe, daß es im Mondlicht silbrig und kalt funkelte.
Auf Marmalon übertraf dieses Jahr alle Erwartungen, die Mary vorsichtig gehegt hatte. Wegen der bevorstehenden kriegerischen Auseinandersetzungen konnte sie wahre Berge von Holz verkaufen, außerdem hatte der geschickte Tallentire einen Kaufmann aus Flandern
aufgetan, der ihnen ihre ganze Wolle zu guten Preisen abnahm. Die Schafherde wuchs und gedieh, sie hatten außerdem eine reiche Ernte gehabt und es war bereits vorauszusehen, daß die nächste noch besser sein würde. Es war, wie Mary manchmal dachte, als sei der liebe Gott selber auf ihrer Seite. Natürlich war ihnen nichts
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