Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
einfach zugefallen. Jeder – mit Ausnahme von Charles Mackenzie – hatte hart gearbeitet, aber der Himmel hatte ihnen auch beigestanden, indem er ihnen weder Unwetter noch Seuchen, sondern eine gesunde Mischung aus Sonne und Regen schickte.
Mary begann sich in diesem Jahr endlich ein wenig sicherer zu fühlen. Sie hatte gerade ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert, aber da sie in den vergangenen zwei Jahren zuviel gearbeitet und zuwenig geschlafen hatte, sah sie ein wenig älter aus. Sie erschien jedem noch schöner als früher, ihr schmales, durchsichtig blasses Gesicht strahlte mehr Zauber aus als alle Jugendfrische, die zwei zarten Fältchen in den Mundwinkeln standen ihr, ebenso wie der Ausdruck von Erfahrenheit und wachsamer Vorsicht in den Augen. Zu kaum einer Zeit ihres Lebens hatte sie wirklich kindlich ausgesehen, aber nun legte sie auch noch die letzten Reste ihrer Mädchenhaftigkeit ab; nur manchmal noch sah man etwas davon in ihrem Lächeln. Sie war eine erwachsene Frau, ein wenig melancholisch manchmal, aber entschlossen, klug und vollkommen selbständig.
Sie hatte Marmalon zu seiner alten Blüte verholfen, nun fing sie an, sich ihre eigenen Wünsche zu erfüllen. Seit der Zeit, da sie im Armenhaus von Shadow’s Eyes auf fauligem Stroh geschlafen hatte, war in ihr die Sehnsucht, sich mit Schönheit zu umgeben. Anfangs waren natürlich andere Dinge wichtiger gewesen, aber langsam konnte sie darangehen, lang verwahrte Pläne in die Wirklichkeit umzusetzen.
Sie hielt an dem Versprechen fest, das sie Jane einmal gegeben hatte, und ließ ihr in Burnham wunderschöne Kleider schneidern, nach der neuesten Mode gearbeitet und genauso, wie sie die erwachsenen Damen trugen. Für sich selber kaufte sie ebenfalls Kleider, in allen Farben, mit dazu passenden Hauben, die mit Federn oder Perlen geschmückt waren. Sie ließ alle kaputten Möbel aus
dem Haus räumen, kaufte für die übrigen neue Stoffe, dazu Kissenbezüge, Tischdecken, Teppiche, Läufer, Vorhänge und Wandbespannungen. Die Wände von Marmalon bestanden aus rohem Stein und sahen viel wohnlicher aus, wenn große Gobelins sie verdeckten. Alle Kerzenhalter wurden gesäubert und mit neuen, honigduftenden Kerzen versehen, in alle Vasen Blumen und Zweige gestellt. In den Kaminen brannten Feuer, die zart nach Wacholder dufteten, und durch die bleigefaßten Fensterscheiben fiel helles Sonnenlicht.
»Ist es nicht ein wunderschönes Haus?« fragte Mary strahlend, als sie eines Morgens mit Charles Mackenzie durch die Gänge lief.
Charles lächelte. »Ja. Und glücklich der Mann, für den Sie das alles so üppig und kostspielig herrichten!«
»Für einen Mann?« Sie blieb stehen und sah ihn zornig an. »Ach, reden Sie keinen Unsinn! Für mich tu’ ich das!«
»Nein, nein. Sie lieben diese Dinge, aber für sich selber würden Sie alles doch etwas einfacher gestalten. Sie sind keine verschwendungssüchtige Natur, Mrs. de Maurois! Sie hängen zu sehr an jedem Farthing Ihres Vermögens. Aber... die Liebe zu Ihrem Gatten besiegt sogar Ihren Geiz!«
»Und wenn? Was ginge es Sie an?«
»Nichts, aber ich finde das alles sehr interessant. Ich würde diesen Mann so gern kennenlernen. Aber in den ganzen zwei Jahren, die Sie nun hier sind, hat er sich kein einziges Mal blicken lassen. Etwas treulos, finden Sie nicht?«
»Wie ich schon sagte: es geht Sie nichts an!« fauchte Mary. »Und auf eines können Sie sich verlassen, Sie werden ihn kennenlernen!«
Sie ließ Mackenzie einfach stehen und verschwand in ihrem Zimmer. Dort lehnte sie sich gegen die Tür und blickte wütend auf den Teppich zu ihren Füßen. Das hatte sie nun davon! Weil sie einmal zu weit gegangen war, nahm er sich jetzt Freiheiten heraus. Rachsüchtig überlegte sie, wie schnell Nicolas ihn in seine Schranken weisen würde, wenn er erst wieder da wäre. Dieser Gedanke hob ihre Laune. Sie trat ans Fenster und sah hinaus. Unten schlenderte Mackenzie über den Hof, ein paar Hühner liefen herum und zwischen den Rosen saß Jane und spielte mit einer dicken Katze. Will humpelte an ihr vorüber, gefolgt von seinem alten Hund. Beide sahen
in diesem Sommer so aus, als würden ihnen nicht mehr allzu viele Jahre bleiben. Will war ein ganz kleiner Mann geworden, so tief gebeugt ging er schon, die schlohweißen Haare wehten hinter ihm her und mit beiden Armen stützte er sich schwer auf zwei Stöcke. Mary wußte, daß er schlecht Luft bekam, denn manchmal mußte er um jeden Atemzug ringen und bekam
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