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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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blaue Lippen. Sie litt dann besonders mit ihm, denn aus ihrer Kindheit wußte sie noch, wie schlimm das war. Nachts hörte sie ihn stundenlang in seinem Zimmer herumtappen, denn im Liegen erstickte er fast. Auch jetzt blieb er immer wieder stehen, holte tief Luft und schien dann seine ganze Kraft zu brauchen, um weiterzugehen.
    Mary wollte sich schon wieder zurückziehen, da bemerkte sie Tallentire, der auf seinem Pferd herangaloppiert kam, mit einer ihm sonst fremden Hast absprang und auf das Haus zulief. Er blieb kurz bei Mackenzie stehen und fragte ihn offenbar, wo er Mary finden könne, denn Mackenzie drehte sich um und wies zu ihrem Zimmerfenster hinauf. Rasch wich sie in den Schatten zurück, erstaunt über ihr plötzlich heftig pochendes Herz. Jener feine Instinkt, der sie immer schon vor kommendem Unheil gewarnt hatte, ließ sie auch diesmal Schrecken voraussehen. Es hatte sich nichts geändert, die Hühner gackerten, Schwalben flogen in den Himmel und die Rosen blühten, aber unvermittelt legte sich ein düsterer Schatten über den Sommertag. Sie hörte Tallentires Schritte auf der Treppe, dann klopfte er an ihre Tür.
    »Herein!« rief sie mit klarer Stimme. Er trat ein, so ungekämmt, staubig und verschwitzt, wie er von dem Ritt gekommen war, und das allein schon bewies Mary, daß ihre Ahnung sie nicht getrogen hatte. Tallentire war sonst immer gepflegt vor sie getreten.
    »Was gibt es?« fragte sie gespannt.
    Tallentire hielt ihr eine Pergamentrolle hin, die nur lose verschnürt war. »Ein Bote hat es mir eben gebracht. Unsere Abgaben für Juni.«
    »Ja, und?« Es bestand die Verabredung zwischen Mary und Tallentire, daß er alle Briefe, die im Zusammenhang mit Marmalon standen, ob sie von Kaufleuten oder Geldleihern oder Bittstellern kamen, ebenso unbefangen öffnen durfte, wie die Herrin von Marmalon
selbst. Mary hatte von Anfang an erkannt, daß sie nur erfolgreich sein konnte, wenn es einen Menschen gab, dem sie völlig vertraute und dem sie freie Hand ließ, schnell erforderliche Entscheidungen auch allein zu treffen. Will war zu alt, Mackenzie zu faul, daher hatte sie sich für Tallentire entschieden und beschlossen, keine Geheimnisse vor ihm zu haben.
    »Sie sollten das lesen, Madam«, sagte Tallentire und reichte ihr die Papierrolle, »unsere Abgaben für Juni. Doppelt so hoch wie sonst. «
    »Was?« Mary entrollte das Pergament und blickte fassungslos darauf. »Das kann doch nicht wahr sein! Zweihundert Pfund! Das muß ein Irrtum sein!«
    »Ich fürchte, das ist keiner.«
    »Aber es muß einer sein. Himmel, ich habe nie gehört, daß irgend etwas oder irgend jemand in England so hoch besteuert wurde! Selbst wenn Marmalon schon so weit wäre, wenn es alles einbringen würde, was es einbringen kann, wären zweihundert Pfund zu viel!«
    »Sie müssen bedenken, daß uns möglicherweise ein Krieg bevorsteht«, sagte Tallentire, »ich nehme an, daß es damit zusammenhängt. Die Regierung braucht Waffen, Schiffe, Sold für die Soldaten ... deshalb erhöht sie sofort die Steuern. Im Grunde war das sogar zu erwarten.«
    »Ja, aber doch nicht, daß der Betrag einfach verdoppelt wird! Und außerdem ist es mir auch gleich, weshalb ich soviel Geld zahlen muß. Was gehen mich der König und seine verdammten Kriege an! Ich hasse diesen König und seine Politik und den ganzen Hof in London! Die haben mir schon einmal alles weggenommen, noch einmal halte ich es nicht aus!« Sie war blaß geworden, ihre Augen dunkel, ihre Stimme schrill.
    Tallentire hatte sie nie so erregt gesehen. Beschwichtigend sagte er: »Wir können es uns leisten.«
    »Ja, heute. Aber wenn es im nächsten Monat wieder so viel ist und dann wieder und wieder... dann, o Mr. Tallentire, ich kann Marmalon nicht verlieren!« Sie stützte sich schwer auf eine Sessellehne und bemühte sich, nicht zu weinen. Tallentire betrachtete sie
mitleidig. Er mochte sie und er verstand ihr Entsetzen. Jeder wußte, wie sehr sie an Marmalon hing, und da sie einen Mann hatte, der sich offensichtlich überhaupt nicht um sie kümmerte, mußten das Land und das alte Haus ihr alles bedeuten. Im übrigen erging es ihm selber so. Nie ritt er über die grünen Felder, an kiefernduftenden Waldesrändern entlang und über moosbewachsene steinerne Brücken, auf denen warm die Sonne lag, ohne daß er Stolz und Liebe gefühlt hätte beim Anblick des wogenden Korns und der blühenden Wiesen um ihn herum. Und wenn er sich abends dem Haus näherte, dann war es, als nehme ihn

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