Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
den Eindruck, daß Anne kaum bei der Sache war. Sie wirkte geistesabwesend und oft unfreundlich. Und auch Cathleen schien es nicht ganz gut zu gehen. Sie magerte ab, verließ oft tagelang das Bett nicht, lief mit fettigen Haaren und schlampig angezogen herum. Einem Gespräch, das sie belauschte, entnahm Mary, daß Cathleen noch immer krank war vor Heimweh und Kummer. Sie hörte sie leidenschaftlich sagen, daß sie lieber sterben wolle, als weiter in dieser Stadt und mit diesem Mann zu leben.
    Anne erwiderte darauf: »Besser wäre es, er stürbe, Cathleen.«
    »O ja«, entgegnete Cathleen verzweifelt, »aber ich bin zu feige, Anne, zu feige und zu schwach!«
    Anne flüsterte etwas und Mary schlich davon, mit dem Gefühl, eine Verräterin zu sein, weil sie mit Cavendor gemeinsame Sache machte.

    Cavendor verließ täglich frühmorgens das Haus und kam erst spät abends wieder. Es mußte große Unruhe am Hofe herrschen, denn Henry zeigte sich in aller Öffentlichkeit an der Seite von Anna Boleyn, die es, so behaupteten viele, zutiefst genoß, Mittelpunkt all der Aufregung zu sein und Kriegsstimmung in halb Europa ausgelöst zu haben. Sämtliche Berater und Vertraute des Königs suchten in regelmäßigen Abständen die arme Katharina auf, um sie zu bewegen, sich freiwillig in die Auflösung ihrer Ehe zu fügen, aber offenbar blieb die Königin hart. Sie hatte noch immer Menschen um sich, die ihr moralische Unterstützung gaben, Hofdamen aus Spanien, denen sie seit ihrer Kindheit vertraute und die bereit gewesen wären, für sie durchs Feuer zu gehen. Ohne diese Gefährtinnen, so meinten viele, wäre Katharinas Widerstand längst gebrochen.
    In einer warmen, sternklaren Augustnacht, als Mary bereits im Bett lag, wegen der drückenden Schwüle aber nicht schlafen konnte, hörte sie wieder schleichende Schritte auf der Treppe und gleich darauf schob sich auch schon die mächtige Gestalt Lord Cavendors in ihr Zimmer. Beschwörend legte er den Finger auf den Mund.
    »Psst! Ganz leise. Niemand darf uns hören!« Er trat zu ihr und reichte ihr ein zusammengerolltes, versiegeltes Papier.
    »Du kennst den Weg zur London Bridge? Und von dort hinüber zum Südufer?«
    »Ja. Aber im Süden war ich noch nie.«
    »Das macht nichts. Am Ende der Brücke hältst du dich rechts am Fluß entlang, bis du zur High Hill Lane kommst. Durch die mußt du hindurch zur River Alley und von ihr in die Sherwood Alley. Dort siehst du das Haus Sherwood Inn. Dem Besitzer gibst du diesen Brief.« Er drückte ihr das gerollte Pergament in die Hand.
    Mary zitterte vor Aufregung. »Worum geht es?« fragte sie.
    »Keine neugierigen Fragen! Und sieh her, der Brief ist versiegelt. Ich werde später fragen, ob er noch versiegelt war, als er seinen Empfänger erreichte. Und gnade dir Gott, wenn du ihn aufbrichst! «
    »Nein, ich werde das nicht tun.«
    »Gut, dann steh jetzt auf und geh!« Cavendor verharrte noch einen Moment, aber da Mary keine Anstalten machte, sich zu erheben,
sondern ihn nur feindselig anblickte, wandte er sich schließlich ab und verließ das Zimmer.
    Mit fliegenden Händen zog sich Mary an. Sie blieb barfuß und nahm sich auch nicht die Zeit, ihr Haar zu flechten. Das Pergament an sich gepreßt eilte sie die Treppe hinunter und huschte durch die Hintertür ins Freie. Die Nacht war sehr warm und klar. Kneipen und Wirtshäuser hatten um diese Zeit, weit nach Mitternacht, bereits ihre Pforten geschlossen, so daß sich kaum noch Menschen in den Straßen aufhielten. Mary begegnete nur hin und wieder einem Bettler, der gierig seine Hände nach ihr ausstreckte, dem sie aber jedesmal rechtzeitig auswich. Betrunkene schwankten ihr entgegen, und Mary drückte sich in den Schatten der stillen Häuser, um nicht von ihnen entdeckt zu werden. Sie war sehr aufgeregt, aber auch ängstlich. Um ihre Nerven zu beruhigen, summte sie eine leise Melodie vor sich hin und überlegte, was in dem Brief stehen könnte. Natürlich würde sie es nicht wagen, das Siegel zu brechen, aber es reizte sie, diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Vielleicht konnte sie etwas in dem seltsamen Sherwood Inn aufschnappen.
    Mary überquerte die London Bridge und vermied es, in das glänzend schwarze, leise rauschende Wasser der Themse zu blicken. Es wurden täglich in den frühen Morgenstunden viele Tote aus dem Fluß geborgen, mit einem Messer im Bauch oder einem Strick um den Hals. Mary bereute es bereits, sich auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben. Sie atmete auf, als sie

Weitere Kostenlose Bücher