Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
für Cavendor arbeitest du«, bemerkte Nicolas, »ein bekannter Mann in London.«
    »Sie kennen ihn?«
    »Ich habe ihn mal gesehen. Er ist ja viel für den Kronrat unterwegs. « Nicolas trank noch etwas.
    Mary nutzte die Gelegenheit, sich schnell zu verabschieden. »Auf Wiedersehen, Mr. Shannon«, sagte sie, »auf Wiedersehen, Mr. de Maurois!«
    Als sie schon an der Tür war, hielt Nicolas sie noch einmal zurück. »Mary Askew«, rief er, »kommst du wieder hierher?«
    »Ich weiß es nicht. Nur wenn mich Lord Cavendor schickt!« Eilig verließ sie das Sherwood Inn. Draußen brauchte sie einen Moment, um ihre Orientierung wiederzufinden. Sie gestand sich, während sie durch die dunklen Gassen eilte, daß Nicolas sie reichlich durcheinandergebracht hatte. Natürlich brauchte sie keine Gedanken mehr an ihn zu wenden, denn vermutlich würde sie ihn nie im Leben wiedersehen.
    Immerhin aber dachte sie noch so viel über ihn nach, daß sie bereits die London Bridge überquert hatte, ehe sie bemerkte, daß der Brief von Will Shannon nicht versiegelt war. Sie sah sich um, bis sie eine Hauslaterne entdeckte, unter deren flackerndem Schein sie mit zitternden Händen das Papier entrollte. Die Buchstaben, die ihr entgegensprangen, wirkten völlig wahllos hingesetzt, waren so schief und zusammenhanglos, daß Mary im ersten Augenblick glaubte, eine ganz fremde Schrift und Sprache vor sich zu haben. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie die Nachricht entziffern konnte.
    »Das Gift ist immer bei mir zu haben«, las sie, »L. Winter sollte keine Sorge sein. Das Mädchen kann es abholen. Will Shannon.«
    Sie ließ den Brief sinken. Dieser gemeine, skrupellose, heimtückische Cavendor, still und leise plant er einen Mord, und dies wahrscheinlich noch in seiner Eigenschaft als Diener des Staates und im Einverständnis wenigstens einiger Mitglieder des hochgeachteten Kronrats. Und er schrak nicht einmal davor zurück, ein junges, argloses Mädchen zu seiner Komplizin zu machen.
    Giftmord! Mary war ein Kind ihrer Zeit, sie kam täglich an den Prangern und Schandpfählen der Stadt vorüber, an denen die entstellten, gefolterten, sterbenden Gestalten zahlloser Delinquenten standen, sie kannte die Galgen an den Wegkreuzungen vor den Dörfern, an denen verweste Leichen wie Vogelscheuchen hingen, die Bäume im Wald, an denen überfallene Reisende ihr hundert Goldpfund wertes Leben ließen. Sie wußte, daß die Steuereintreiber des Königs zahlungsunfähige Opfer an ihre Pferde banden und zu Tode schleiften oder vierteilten, und daß Frauen, der sündigen Liebe mit dem Teufel verdächtigt, in Käfige gesperrt und an Stricken ins Wasser hinabgelassen wurden, wo sie qualvoll ertranken. Giftmorde, sauber, unauffällig und geräuschlos, fielen dazwischen kaum auf. Die meisten der unüberschaubaren Hofintrigen endeten auf diese Weise und es war auch nicht bloß ein Schauermärchen, daß viele Frauen, ebenso unfreiwillig und unglücklich verheiratet wie Cathleen, sich nur auf diese Weise aus ihrer Verstrickung zu befreien wußten.
    Mary, die gewohnt war, den Tatsachen ins Auge zu sehen, hatte daher nicht den Eindruck, ein Abgrund des Bösen tue sich vor ihren Füßen auf, aber ein Gefühl des Grauens beschlich sie doch. Irgend jemand hatte vor, einen anderen Menschen zu töten, und sie selber war gerade dabei, sich in die Machenschaften zu verstricken. Sie erschrak, als ihr klar wurde, daß sie sich nicht mehr zurückziehen konnte, weil Cavendor sonst vielleicht gefährlich wurde.
    »Aber ich möchte doch zu gern wissen, wer L. Winter ist«, sagte sie halblaut zu sich. Sie blickte zum Fluß, dessen Wellen sacht gegen das Ufer platschten. Der Mond, für einige Augenblick ihrer Sicht entschwunden, kam hinter dem stummen, steinernen Tower hervor und spiegelte sich hell in den Fluten des Wassers.

     
    Einige Wochen später traf Mary Nicolas wieder. Anne hatte sie auf den Markt geschickt, um Baldriankräuter zu kaufen, damit sie Cathleen einen Tee daraus brauen könnte. Cathleen war am vergangenen Abend laut schreiend durch das Haus gelaufen, hatte Vasen zerschmettert, Kissen zerfetzt und war schließlich laut weinend auf der Treppe zusammengebrochen.
    Als Mary zum Markt ging, regnete es. Eilig drängte sie sich durch das Menschengewühl vor den Ständen, kaufte alles, was man ihr aufgetragen hatte und blieb gerade kurz vor einem buntbemalten Kasten stehen, in dem »Kardinal Wolseys Höllenfahrt« mit lustig geschminkten Puppen aufgeführt wurde, als neben

Weitere Kostenlose Bücher