Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
Schrecken vor der Tat, wenn Lady Winter nicht starb, würde er wissen, wo die Verantwortliche zu finden war. Sie dachte daran, wie Cathleen einmal verzweifelt gesagt hatte, sie sei zu feige, ihren Mann umzubringen. Verachtungsvoll stellte sie fest, daß sie selbst kein bißchen mehr Kühnheit besaß. Sie
hatte nicht den Mut, sich gegen das Ansinnen zu wehren, das Cavendor an sie richtete. Ich bin überhaupt kein bißchen besser als jede andere, der ich mich überlegen glaubte, dachte sie, nicht besser als Mutter, Bess, Cathleen. Ich lasse mich ausbeuten und mißbrauchen und wage kein Wort der Widerrede!
Will kam zurück und kicherte. »Etwas blaß um die Nase, wie?« fragte er. »Ja, ja, Gift ist nicht für jedermann etwas, weiß Gott nicht!« Er reichte ihr ein zusammengefaltetes Papier. »Das bringst du deinem Herrn. Und nicht davon naschen, hörst du?« Er kicherte wieder, aber in seinen Augen lag ein leiser Anflug von Mitleid, ehe er die Kerzen ausblies und Mary die Tür öffnete. Draußen fielen Schneeflocken, Mary fühlte sich elend und kalt. Sie zog ihre Tücher enger um sich und machte sich langsam auf den Heimweg.
Cavendor war begeistert, als er das Gift in den Händen hielt und wollte Mary ein Geldstück schenken. Als sie es sofort zurückgab, wurde er sehr wütend und fuhr sie an, sie sei eine dumme, alberne Gans, die sich nur ja vorsehen solle, denn ewig werde er ihr Gehabe nicht mitmachen.
Dann sah er sie lauernd an. »Warum bist du nach London gekommen, Mary?« fragte er.
»Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen, Mylord«, entgegnete Mary vorsichtig.
»Nun, ich will es dir sagen. Du hast es in diesem verdammten Nest, diesem dreckigen Shadow’s Eyes, nicht mehr ausgehalten. Du wolltest ein besseres und aufregenderes Leben. Du wolltest in eine Stadt, in der man deine Schönheit und deinen Verstand zu schätzen weiß, wo du dich frei bewegen kannst. Aber alles hat seinen Preis. Was du auch tust im Leben, du mußt immer bezahlen.«
»Aber nicht so. Ich weigere mich zu glauben, ich müsse meine Freiheit mit einem Mord bezahlen!«
»Oh«, Cavendor lächelte hämisch. Er sah grausam und abstoßend aus. »Genau das mußt du, Mary, und noch viel unmittelbarer als du glaubst. Ich schwöre dir bei meiner Seele, wenn du abspringst, bringe ich dich in den Tower, lebenslang!«
»Vielleicht«, sagte Mary mit leiser, leidenschaftlicher Stimme, »wäre das eher zu ertragen, als mit einer solchen Schuld zu leben!«
»Rede doch nicht! Du weißt nicht, was du sagst! Du kennst das Verlies nicht, das dich erwartet und deine Vorstellungskraft reicht nicht aus, dir auszumalen, wie die Jahre sein werden, die du dort verbringst. Du bist ein zartes Mädchen, aber zäh, dir könnten fünfzig Jahre bevorstehen. Fünfzig Jahre, Mary, weißt du, wie lang die sein können?« Sein Gesicht kam ihr näher, seine Stimme wurde zu einem eindringlichen Flüstern. »Im äußersten Fall wirst du dir die erste Woche lang heroisch vorkommen. Du wirst deinen Mut und deine Stärke rühmen, die dich befähigt haben, lieber ins Gefängnis zu gehen, als etwas zu tun, war dir dein Gewissen verbietet. Aber glaube mir, auf keinen Fall dauert das länger als eine Woche! Dann wird die Verzweiflung kommen und die Wut. Du wirst durch den Raum gehen, du wirst zum Fenster hinaufschauen, zu dem hauchfeinen Spalt, der hinauszeigt in die Freiheit, durch den du einen Streifen blauen Himmel siehst oder eine vorüberziehende Wolke. Du wirst gegen die Tür schlagen und keiner wird dich hören. Die Haut an deinem Bein, dort wo die Fußkette liegt, wird sich entzünden, aber es wird nichts geben, was dir Linderung verschafft. Dein Lager wirst du mit Mäusen und Ratten, Wanzen und Würmern teilen, sie werden dich zerstechen, befallen, du wirst krank werden an ihnen, Blut und Eier spucken und verfaulen – und doch nicht sterben. Du wirst deine Dummheit verwünschen, deinen Mut, deine Stärke, deine Weigerung. Du wirst dich anklagen und verfluchen und nichts ändern können!«
Cavendor lächelte.
»Nach einem halben Jahr wird dir aufgehen, wie lange die Jahre dauern, die du in deinem Kerker verbringst«, fuhr er fort, »und du wirst darüber nachdenken, wie du deinem Leben rasch ein Ende setzen kannst. Ich sage dir gleich, es ist hoffnungslos. Sterben ist eine verteufelt schwierige Sache. Wahrscheinlich wirst du aufhören zu essen und zu trinken, aber ehe der Durst dich wahnsinnig macht, fällst du doch über das schale Wasser her, das dir der Wärter
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