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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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jeden Morgen bringt, und wenn du dich vor Hunger in Krämpfen windest und die Schmerzen nicht mehr aushältst, stürzt du dich auf das vertrocknete Stück Brot in der Ecke, kämpfst mit den Ratten darum, hast nichts mehr von einem Menschen, du bist eine elende, stumpfe
Kreatur, die um ihr niederes, trostloses Leben kämpft, deren Instinkte über all das gesiegt haben, was sie einst zum Menschen gemacht hat!«
    »Nein«, bat Mary leise, »nicht weiter. Ich will nicht mehr...«
    »Du willst jetzt schon nicht mehr? Denk an alles, Mary! Keine Schneeflocken mehr in deinem Haar, kein kühler Wind um dein Gesicht, keine heißen, klaren Sommertage, keine mondhellen Nächte, Blumenwiesen und blühende Rosen. Keine Kornfelder, keine Katze, die sich schnurrend an dich preßt. Keine Schönheit mehr, Mary – und keine Liebe!« Er ergriff eine ihrer langen roten Locken und küßte ihre Spitzen.
    »Willst du das alles opfern?«
    »Nein«, entgegnete Mary heiser, »das kann ich nicht. Mein Gott«, sie hatte plötzlich Tränen in den Augen, »ich bin zu jung. Ich will leben! In Freiheit leben. Ich will die Sonne sehen und die Sterne und Gras unter meinen Füßen spüren und in einer Wiese liegen und Erdbeeren essen... ach, Sie haben es geschickt angestellt, Lord Cavendor! Ich bin in Ihrer Hand.«
    »Es war mir darum zu tun, daß du das erkennst«, bemerkte Cavendor zufrieden.
    Bevor er ging, sagte er: »In den nächsten Tagen werde ich dich auffordern, mich auf einem Ausritt zu begleiten. Da du ein kluges Mädchen bist, wirst du diesem Vorschlag zustimmen!«
    Er verschwand, und Mary warf sich auf ihr Bett, vergrub das Gesicht in den Kissen und schluchzte. Sie fühlte sich einsam und hilflos.
    »Ich hasse dich, Cavendor«, murmelte sie, »wenn du nur wüßtest, wie sehr ich dich hasse!«
    Aber ihr war klar, daß dies Cavendor kaum beeindrucken und ihr nicht im geringsten helfen würde.
     
    Das Weihnachtsfest verbrachte die königliche Familie meist in Schloß Hampton Court, einige Meilen flußaufwärts, vor den Toren der Stadt. Das ganze Schloß wurde mit Mistelzweigen und bunten Girlanden geschmückt und über Wochen hinweg fanden jeden Abend Maskenbälle statt, am Tag wurden Reitausflüge und Turniere
veranstaltet, man ging auf die Jagd oder vergnügte sich, in dicke Pelze gehüllt, bei Bootsfahrten auf der winterlichen Themse. Es herrschte ein buntes, ausgelassenes Treiben, der Wein floß in Strömen, feinstes Gebäck und duftende Braten wurden gereicht, und das alte, graue Gemäuer hallte wider von Geschrei und Gelächter. In diesem Jahr, 1531, waren der König und Anna Boleyn, die Sommer und Herbst in Windsor Castle verbracht hatten, von dort direkt nach Hampton Court gereist, und London rätselte, ob die gedemütigte, im Londoner Schloß Baynard’s Castle allein zurückgelassene Königin es wohl wagen würde, sich ebenfalls nach Hampton Court zu begeben und dort ihrem Mann und dessen Mätresse gegenüberzutreten. Tatsächlich machte sich Katharina am 20. Dezember mit ihrem Gefolge auf den Weg, so selbstverständlich, als hätte es für sie nie einen Zweifel daran gegeben, daß sie reisen würde.
    Für gewöhnlich benutzte die Königsfamilie den Wasserweg, um von London nach Hampton Court zu gelangen, aber in diesem Jahr herrschte ein unüblich starker Frost und die ganze Themse war mit dicken, treibenden Eisschollen bedeckt. Katharina beschloß daher, zu Lande zu reisen. Von Trommelwirbeln begleitet und unter dem Winken und Rufen vieler Bürger, bewegte sich ein stattlicher Zug aus der Stadt hinaus: die Pferde mit der Königin und den Hofdamen, davor und dahinter Soldaten, dann die Lastenträger, die unzählige Kisten und Taschen mit dem Gepäck der Reisenden darin trugen. Mary, die mit Anne vor Baynard’s Castle gewartet hatte, um auch einen Blick auf den Zug zu werfen, wußte, wie viele notwendige Dinge eine reiche Dame mit sich führte, wenn sie auf Reisen ging. Allein die vielen stoffreichen Roben, Unterkleider, Handschuhe, Hauben und Schleier zu verstauen, brauchte viel Platz, hinzu kamen noch Schmuck und Perücken, Kissen und Decken, Musikinstrumente, Schminke, Haarfärbemittel, Cremes und Kräuter, Bücher und gewaltige Flaschen mit betörend duftenden Essenzen, denn auch am Hof waren die sanitären Verhältnisse äußerst ungenügend und jeder mußte seinen Körpergeruch mit Unmengen duftenden Rosenwassers oder Lavendelöl betäuben. Außerdem nahm Katharina in kleinen, mit Samt ausgelegten Weidenkörben
ihre

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