Die Sternenkrone
weiter zu schüren. Am besten, er brachte die Sache jetzt einfach zu Ende. Mit viel Anstrengung zauberte er das jungenhafte Grinsen wieder auf sein Gesicht und spürte, wie es ihm in den Backenknochen schmerzte.
»Du zitterst ja«, sagte sie. Plötzlich faßte sie seine Hand. Er wehrte sich nicht. Welcher Weg führte zu Anna? Aha – da entlang. Sie stapften durch den Regen.
»Ist es noch weit?«
»Nein.«
Was war bloß mit ihm los? Automatisch stellte er sie sich in Annas Zimmer vor, automatisch sagte er irgend etwas, was sie zum Lächeln brachte. Schließlich bogen sie durch das große Tor in die breite Einfahrt ein.
»Ist es hier? Deine Freunde ...?«
»Ja«, erwiderte er und berührte mit den Knöcheln leicht die Türglocke. Sie betrachtete staunend den Portikus. Honky öffnete.
»'n abend, Mistu Chick. 'n abend, Ma'am.« Eine warme, volltönende, jazzige Stimme. »O jeh! Nichts wie rein mit Ihnen, Ma'am! Ich rufe Miss Anna.«
Immer noch glotzend trat das dumme Stück ein, tröpfelte den Teppich unter dem funkelnden Kronleuchter voll und stierte auf Anna, die die große Treppe herunterwirbelte, um die Kuh mit einem einladenden Händedruck zu empfangen, der beinahe einer mütterlichen Umarmung glich.
Hinter dem Rücken der beiden Frauen zeigte Honky ihm die Faust. Er antwortete mit einem angedeuteten Spucken. Die Kuh war am Fortgehen. »Wirklich, ich weiß nicht, es ist so freundlich von Ihnen ...« Anna führte sie die Treppe hoch.
Er wußte, was dort oben vor sich ging. Geschlossene Türen, schalldichte Isolierung. Er war schon oft oben gewesen. Er konnte hochgehen, wann er immer wollte. Das war Teil der Abmachung.
Die Kuh drehte sich um und winkte ihm zu.
»Ich komm dann vorbei«, rief er. Warum hatten sie alle den gleichen Blick? O Gott, er hatte von diesem Blick die Nase gestrichen voll. Dieser verdammte Raum sah plötzlich so eigenartig aus. Für ein paar Sekunden ... als ob es Tag wäre ... Er runzelte die Stirn und konzentrierte sich auf Annas Gestalt, die sich die Treppe hoch entfernte. Hinter dem Rücken machte sie eine Faust und zeigte dann zweimal fünf Finger.
»Fünfzehn«, sagte er zu Honky. »Sie lächelt.«
»Du hast gehört, was der Boss gesagt hat«, erwiderte Honky und blätterte zwei Scheine hin. Dann legte er eine Karte dazu. »Hier. Die nächste.«
»Sonst noch was«, sagte er und studierte die Karte. Es war auf der anderen Seite der Stadt. »Es regnet.«
»Es regnet immer. Schwing deinen Arsch, Mann.«
»Ich glaub, ich hab 'ne Erkältung«, sagte er, drehte sich aber doch um und ging hinaus.
Der Mann, der in dem tiefen Ohrensessel hinter dem großen Pflanzkübel gesessen hatte, erhob sich, als die Tür ins Schloß fiel.
»Von dem ist nicht grad viel übrig«, bemerkte er.
»Von keinem von uns«, sagte Honky. Er wandte sich zu dem Mann um. »Warum tun Sie uns das an? Warum lassen Sie uns nicht richtig sterben? Hören Sie mit diesem Spiel auf. Hören Sie auf damit!«
»Tut mir leid.« Der Mann griff nach seinem Regenmantel. »Du weißt, daß wir zu wenig Personal haben. Ist dir eigentlich klar, daß es allein in dieser Stadt jährlich dreihundert Todesfälle gibt? Und um jeden einzelnen muß man sich kümmern. Oder soll man sie einfach auf der Straße herumschwirren lassen? Oft helfen uns Freunde oder Verwandte, aber was machen wir mit denjenigen, die völlig alleinstehend sind? Sollen sie vielleicht von Tür zu Tür gondeln, als eine Horde musizierender Cherubim, oder was?« Er kämpfte sich in seinen Mantel.
»Sie haben Zombies aus uns gemacht! Tiere!« stöhnte Honky.
»Im Gegenteil«, sagte der Mann und zog seine Galoschen an. »Ihr macht bloß das weiter, was ihr in eurem Leben auch getan habt. Was ist daran unfair? Ihr drei wart ganz schön geschickt darin, alleinstehende Frauen zu jagen. Wir machen lediglich von euren Fähigkeiten Gebrauch. Mit einigen – naja, Abänderungen natürlich. Falls es dich erleichtert – diese Reste eurer Persönlichkeiten halten sowieso nicht mehr lange. Chick, zum Beispiel. Ich fürchte, ich muß bald einen Ersatz für ihn suchen. Naja, er taugte von Anfang nicht sehr viel. Doch man nimmt halt, was man kriegt. Anna ist noch ganz gut in Schuß. Und du auch.« Er ging Richtung Tür.
Honky hielt ihn an der Schulter fest. »Lassen Sie uns gehen«, bettelte er. »Lassen Sie uns sterben!“
»Tut mir leid«, sagte der Mann wieder und schüttelte ihn ab.
»Fahren Sie zur Hölle!«
»Das ist nicht vorgesehen«, sagte der Mann. Ein
Weitere Kostenlose Bücher