Die Sternenkrone
hinterlassen haben«, meint er.
»Du vielleicht.« Aber ihre Stimme klingt unsicher. Die Druckbuchstaben haben große Ähnlichkeit mit ihrer Handschrift.
»Nun ja ...« Er löst den Umschlag vom Bett und dreht ihn neugierig um. Gute Briefpapier-Qualität in Apricot, mit einer eingravierten Adresse auf der Rückseite: »1225 Ridgeway Place, Arlington, Virginia 22206. Enklave 47. Das muß hier sein. Aber >Enklave 47 Es scheint sich einiges verändert zu haben, Mädchen.«
Er öffnet den Brief. »Das sieht nach meiner Klaue aus. Soll ich vorlesen, ja? Setz dich besser hin. Es geht los.
>Herzliche Grüße an unsere jüngeren Ichs! Wir wissen, daß Ihr keine Erinnerungen an Euer Leben nach dem College habt, da es sich in Wirklichkeit noch nicht ereignet hat. Ihr werdet nicht einmal wissen, wo Ihr seid. Deshalb versuchen wir hiermit, Eure wichtigsten Fragen zu beantworten.
Ihr befindet Euch in Eurem geliebten Heim. Das Haus, in dem Ihr seit dreißig Jahren wohnt. Es ist voll bezahlt, ohne Schulden und Hypotheken.
Ihr seid seit fünfunddreißig Jahren verheiratete«
Di stößt einen halb erstickten Laut aus. Ihre Augen sind riesig. Plötzlich holt sie tief Luft und stammelt: »Wo steht denn eigentlich mein Name? Vielleicht hast du diesen Brief tatsächlich an deine Frau geschrieben, aber sie ist eine andere! Von mir ist überhaupt nicht die Rede!«
Er sieht sie an, wirft einen Blick auf den Brief und seufzt. »Und wenn du dich noch so sehr anstrengst, Mädchen – sieh dir mal das Briefpapier an! Da, ganz oben!« Er reicht ihr den apricotfarbenen Bogen.
Sie liest die gleiche Adresse wie auf dem Umschlag und darüber den Namen. Diane Pascal.
Sie starrt die Schrift an, läßt den Brief auf ihren Schoß sinken, drängt mühsam die Tränen zurück, nimmt ihn erneut in die Hand und starrt kopfschüttelnd die Schrift an. Ihr Atmen erinnert an ein Schluchzen, aber sie beherrscht sich. Wieder läßt sie die Nachricht sinken und sieht sich langsam im Zimmer um. Ihr Gesichtsausdruck ist so leer und verloren, daß er unwillkürlich Mitleid empfindet. Materialistisch – selbstsüchtig – seicht – überspannt – aber immerhin ein Mensch, der sich elend fühlt. Ein Mensch, der um seine verlorenen Träume trauert.
Er steht auf, tritt neben sie und legt ihr einen Armum die Schultern. Aber sie zuckt bei seiner Berührung zusammen, erstarrt. Ihm fällt seine Akne ein.
»Kopf hoch, Mädchen! Es ist nur für vier Wochen. Das schaffst du!«
Langsam murmelt sie vor sich hin: »Das ... ist ... meine ... Zukunft? Das hier? Aber wie kann das sein? Ich war so sicher, alles lief so wunderbar ...«
Erneut steigt Zorn in ihm auf. »Ja, was ist denn so entsetzlich an der Sache? Du hast ein Heim und einen Mann, du lebst weder in einem Altersheim noch mußt du hungern, wie es vermutlich viele andere tun. Und beim Schreiben dieses Briefes hast du dich allem Anschein nach nicht für deinen Namen geschämt – oder?«
»Aber ...«, beginnt sie unsicher.
»Das Zimmer sieht nach Mittelklasse aus, ist es das? Und du warst eine Stufe weiter oben. Aber selbst das hat dir nicht gereicht! Du wolltest unbedingt ganz, ganz hoch hinaus. Einen Mann heiraten, der deine Träume vom Luxusleben erfüllen würde. Nun, dieser Plan scheint irgendwie gescheitert zu sein. Ich weiß nicht warum, ebensowenig wie du; alles war so schön eingefädelt ... Die Jungs erzählten sogar, daß du noch Jungfrau seist, um ... um den Anreiz für den Märchenprinzen zu erhöhen.«
Sie nickt kaum merklich. »Nun, darüber können wir zu gegebener Zeit sprechen.« Sie wirft ihm einen Blick abgrundtiefer Verachtung zu. Aber er hat sich in der Hand, und er lacht nur.
»So weit wird es garantiert nicht kommen!« faucht sie. »Ich glaube, ich verstehe jetzt, worum es geht. Das hier ist eine mögliche Zukunft. Sie hat sich noch nicht ereignet – das steht hier ausdrücklich. Nun, sie wird sich auch nicht ereignen! Ich werde sie verhindern, ich werde etwas völlig anderes tun ...«
»Du wirst dich an nichts erinnern.«
»Ich werde mich erinnern – verlaß dich drauf!«
Er sieht sie mit gerunzelter Stirn an. Ist sie tatsächlich übergeschnappt?
»Dieser Aufstieg in die oberen Zigtausend hat dir viel bedeutet, nicht wahr?« fragt er nachdenklich. »Die vergoldeten Klinken, die Lear-Jets, das Designer Ambiente, Häuser überall, Scharen von Angestellten – umgeben von einer Mauer des Wohlstands, die nichts durchdringen kann. Du dachtest, du hättest das Ticket für diese
Weitere Kostenlose Bücher