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Die Sternenkrone

Die Sternenkrone

Titel: Die Sternenkrone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers.
    »Hat schon wieder eine einfach ihr Kind abgeladen?« fragt er. »Ja, leider, Doktor. Wir hatten gerade ein bißchen viel zu tun und ...«
    »Schon gut. Machen Sie ein orangenes Schildchen mit einem >X< an das Bett. Ich untersuche das Kind dann gesondert.« Er seufzt. »Verdammter Mist.«
    Der Säugling auf der gepolsterten Ablage, der bis jetzt keinen Laut von sich gegeben hat, beginnt nun leise zu gurgeln und wendet Maylene das Gesicht zu. Sie sieht, daß etwas mit ihm nicht stimmt. Das Gesicht ist furchtbar entstellt. Die Oberlippe scheint ganz zu fehlen, und etwas, das aussieht wie ein zweiter Mund oder ein zweites Gesicht, ist mit der Wange verschmolzen. Und seine Beinchen und einer seiner Arme sind zu kurz und auch noch verkrümmt. Statt eines Jäckchens trägt er eine Art verschmierter Bandage. Aber er gurgelt und sabbert trotzdem glücklich vor sich hin, als eine Schwester ihn in eine Babydecke wickelt und in ein fahrbares Gitterbettchen legt. Sie befestigt ein orangefarbenes Schildchen am Griff des Bettes und hält es hoch, damit die ältere Schwester es beschriften kann.
    »Sieht nicht so aus, als hätte der Doktor hier noch viel zu untersuchen«, stellt sie feixend fest. Die ältere Frau, offenbar die Oberschwester, wirft ihr einen ärgerlichen Blick zu und schüttelt den Kopf.
    Maylene sieht, daß die Bettchen mit den neuangekommenen Babies alle farbige Schildchen tragen. Auf einigen steht in großen Buchstaben >TK<, >FA<, >BK< oder >S<. Die Schwestern beginnen, die Bettchen in das hintere Zimmer zu schieben.
    Das Mädchen vor Maylene dreht sich jäh um und rempelt Maylene beim Weggehen an. O Gott – jetzt ist sie an der Reihe.
    Sie geht langsam zum Schalter vor, bringt es aber nicht über sich, das Baby loszulassen. Wie gelähmt starrt sie stumm in das Gesicht der Oberschwester. Diese betrachtet Maylenes zierliche Figur und das geknöpfte Oberteil ihres Kleides. Ihr dämmert etwas. »Ich wette, Ihr Baby wird gestillt. Stimmt's?«
    »Wie bitte? Oh ... oh, ja«, wispert Maylene. »Was wird nun ...«
    »Kein Grund zur Sorge. Wir haben zwei prächtige Ammen.« Die Schwester wendet sich nach hinten. »Mrs. Jackson! Sind Sie frei?«
    Mrs. Jackson ist eine große, üppig gebaute Frau mit indianischer Hautfarbe und einem warmherzigen Lächeln. Im Nu sieht sich Maylene ihre kostbare Fracht in die einladend ausgebreiteten Arme der Amme abladen. Mrs. Jacksons Oberteil fällt auseinander, der kleine gebürstete Babykopf vergräbt sich gierig im Ursprung allen Wohlbehagens.
    »Ich ... ich hatte nicht viel Milch ...“
    »Armes kleines Mäuschen«, gurrt Mrs. Jackson mit mitleidloser Ehrlichkeit.
    »Wir stecken ein warmes Fläschchen dazu, wenn sie trinkt, und Sie glauben nicht, wie rasch sie sich umstellen wird«, sagt die Oberschwester zu Maylene. »Dieses Formular müssen Sie unterschreiben. Hier unten, bitte. Nehmen Sie meinen Füller.«
    Als Maylene mit leeren Armen und wie betäubt ins Freie tritt, kommt ihr eine Schar hoffnungsvoller Adoptiveltern entgegen. Ihr schießt eine Idee durch den Kopf. Wenn sie eine windgeschützte Stelle findet, kann sie vielleicht von dort aus sehen, wer ihr Baby mitnimmt. Die gelbe Schleife wird sie von weit her erkennen können.
    Die sechs Personen mittleren Alters, die gerade den Weg zum Zentrum hochkommen, sind eindeutig keine erwartungsfrohen Adoptivelten, obwohl sie sich genau dieser Tür zuwenden. Es ist das >RECHT-AUF-LEBEN<-Komitee, oder vielmehr der kümmerliche Rest davon, der sich für die Kinder anderer Leute auch dann noch interessiert, nachdem er sie per Gesetz dazu verdammt hat, auf die Welt zu kommen. Ihr Besuch wird erwartet.
    Als sie vor Kälte schaudernd, in ihre Mäntel vergraben und in ein angeregtes Gespräch über das Wetter vertieft, in den hellerleuchteten Raum kommen, stehen an der linken Wand bereits sechs Sessel einladend bereit. Oberschwester Tilley schießt aus einer kleinen Gruppe Menschen am Schalter hervor, um sie zu begrüßen. Sie können die Hochstühle sehen, in denen jetzt Kinder sitzen, und mehrere weiße Babykörbchen aus Plastik auf dem Schalter, halb verdeckt durch die drei erwartungsvollen zukünftigen Elternpaare. Manchmal tauchen zappelnde rosa Zehen aus den Körbchen auf, und die Eltern in spe gurren vor Entzücken.
    Das Komitee besteht aus vier Frauen und zwei Männern, die mit Oberschwester Tilley offenbar gut bekannt sind. Als sie Platz genommen haben und eine Helferin heißen Kaffee,

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