Die Sternseherin
die Vampire glaubten, nur sie könne die tief in ihnen beheimatete, dunkle Kraft bändigen.
Das Angebot des Rats, die Position eines Bibliothekars zu übernehmen, kam gerade noch rechtzeitig, bevor er vom Jäger zum Gejagten wurde. Immer häufiger hatte er seither darüber nachgedacht, sich in die Zwischenwelt zurückzuziehen wie so viele magische Wesen vor ihm. Sein jüngerer Bruder Kieran brauchte jedoch Ashers Unterstützung in dem ewigen Ringen mit dem Wahnsinn ebenso wie ihre Schwester Vivianne, also blieb er. In der Welt der geschriebenen Worte war es ihm leichter gefallen, der täglichen Versuchung zu widerstehen. Meistens. Durch das zurückgezogene Leben kam ihm allerdings der Kontakt zur Realität abhanden. Jedenfalls behaupteten das seine Geschwister. Kieran erlaubte sich gelegentlich kritische Bemerkungen. Vivianne wurde deutlicher: »Die Frau deiner Träume findest du bestimmt nicht zwischen den Seiten eines dieser langweiligen Bücher, mit denen du dich jede Nacht beschäftigst!«
Seine Beteuerungen, er suche nichts weniger als eine Gefährtin für die Ewigkeit, ließ sie nicht gelten. Vielleicht wäre dies anders gewesen, hätte sie die Gründe dafür gekannt. Doch das war ein Kapitel seiner Geschichte, über das Asher mit niemandem sprach.
»Geh doch mal aus, du bist so ein Langweiler geworden! Mit einer Seelengefährtin käme endlich wieder etwas Bewegung in deine alten Knochen.« Vielleicht ahnte sie, dass ihr Bruder sein Leben satthatte. Selbst die von ihr geschmähten Bücher bereiteten ihm längst keine außergewöhnliche Freude mehr. Jede Nacht langweilte er sich aufs Neue, fast alles hatte er in den vergangenen Jahrhunderten schon einmal gesehen, erlebt und gelesen. Selbst das kokette Spiel schöner Frauen hatte längst seinen Reiz verloren. Einzig die Jagd und das Töten vermochten ihn noch aus dem Ennui zu reißen. Gelegentlich gab er diesem ständig präsenten Verlangen nach, ermordet hatte er bisher aber noch keines seiner unfreiwilligen Opfer. Der Rausch jedoch, in den er geriet, wenn das Herz eines Sterblichen immer stärker schlug, um das verbliebene Blut durch die Adern zu pumpen, wurde mit jedem dieser geheimen Ausflüge überwältigender, und Asher wusste, es war nur eine Frage der Zeit, wann er den Kampf gegen seine vampirische Natur verlieren würde. Zu häufig hatte er als aktiver Vengador selbst einen dieser gefährlichen Serienkiller zur Strecke bringen müssen, die ihre Selbstkontrolle verloren hatten und der Blutlust endgültig erlegen waren. Sobald er die Hintergründe recherchierte, stieß er immer wieder auf das gleiche Muster. Diese Vampire waren häufig sehr alt und hatten sich in den Jahrzehnten vor ihrer schrecklichen Verwandlung meist aus der magischen Gemeinde in die Einsamkeit zurückgezogen. Asher konnte sich noch gut an den Wahnsinn erinnern, der in ihren Augen loderte, wenn er sein Schwert erhob, um ihnen ewigen Frieden zu schenken.
Das Auftauchen der drei Feentöchter hatte seine tristen Nächte allerdings durcheinandergewirbelt und schenkte ihm für die Dauer eines Wimpernschlags sogar wieder Hoffnung. Er mochte am Abgrund stehen, aber noch spürte Asher festen Boden unter seinen Füßen. Eine heimliche – und im Nachhinein betrachtet reichlich peinliche – Begegnung mit Estelles Zwilling Selena hatte gezeigt, dass sie nicht seine Seelengefährtin war. Kieran, der damals mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen hatte, bat ihn, ein Auge auf Estelles Sicherheit zu haben. Dabei erfuhr Asher mehr über ihre privaten Probleme, als einem Wächter lieb sein konnte. Er begann, seine Aufgabe als rettenden Strohhalm zu betrachten und lernte die verstörte Fee allmählich besser kennen, obwohl sie nicht einmal ahnte, welch dunkler Schutzengel über sie wachte.
Ein Plan formte sich im Kopf des Strategen. Seine Geschwister hatten ausnahmsweise einmal recht, er brauchte in der Tat dringend Ablenkung. In naher Zukunft, so hoffte er, würde sich ein Seelenfreund finden, der Vivianne liebte und sie ebenso glücklich machte, wie Kieran es seit kurzem mit Nuriya zu sein schien. Sobald er sie wohl versorgt wusste, würde Asher in die Ewigkeit der Zwischenwelt gehen und dort seiner diesseitigen Existenz ein Ende setzen. Und bis dahin war ihm jedes Mittel recht, um nicht vorzeitig dem Wahnsinn zu verfallen.
Estelle war hübsch, keine üppige Schönheit, wie er sie bevorzugte, aber mit ihren langen Beinen und dem vollen, weichen Mund durchaus einen zweiten Blick wert. Ihm gefiel
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