Die Sternseherin
auch ihre Art sich zu kleiden und die neue Frisur betonte die verborgenen Vorteile der Feentochter ausgezeichnet. Sie schien zudem nicht dumm zu sein. Dies waren alles in allem gute Voraussetzungen, um seinen Ansprüchen zumindest für eine Weile zu genügen, befand er. Zudem besaß sie eine liebende Familie und würde selbstverständlich sein Vermögen erben, sobald er in die Ewigkeit ginge. Erst einmal Witwe, wäre sie ordentlich versorgt und konnte sich einen Partner suchen, der weniger gefährlich war. Asher wusste, wann er Verantwortung zu übernehmen hatte.
Und nun tauchte plötzlich ein kaum flügge gewordener Konkurrent in seinem Revier auf und durchkreuzte diesen genialen Plan. Anfangs hatte er versucht, den unerwünschten Mitstreiter durch bloße Anwesenheit zu vertreiben. Ebenso wie die zahllosen Sterblichen die seine Fee begehrten. Er hatte sich in letzter Zeit mehrerer entledigen müssen. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine wie aus Stein gemeißelten Lippen, als er daran dachte, wie er die geilen Kerle räudigen Hunden gleich davongejagt hatte. Allmählich wurde ihm jedoch klar, dass diese Strategie hier nicht funktionierte. Der Junge war zäh und, noch schlimmer, Estelle fühlte sich augenscheinlich von seinem Charme angezogen. Asher war nicht unerfahren, was das weibliche Geschlecht betraf. Tatsächlich hatte er sich in den Jahrhunderten vor seinem Rückzug eine gewisse Reputation erworben. Diese neue Herausforderung gefiel ihm und er nahm sie an. Über den Ausgang des Wettstreits hegte er nicht den geringsten Zweifel. Es war zwar lange her, dass er eine Frau umgarnt hatte, aber manche Dinge verlernte ein Mann, unsterblich oder nicht, nie. Etwas wehmütig dachte er an die Zeiten im 18. Jahrhundert zurück. Damals genügte es, seiner vampirischen Natur ein wenig Freiheit zu erlauben und die Weiblichkeit jener Zeit lag ihm zu Füßen. Sie liebten das Geheimnisvolle, hier und da ein Bonmot sowie nicht zuletzt sein unbestreitbares Talent im Bett taten ein Übriges und Asher litt keinen Mangel an schönen Gespielinnen. Heute besaßen selbst bürgerliche Frauen das Selbstbewusstsein der Adligen aus vergangenen Epochen, aber sie waren auch kritischer. Dies galt offenbar ebenfalls für die magische Welt, jedenfalls wenn er unterstellte, dass die Partnerin seines Bruders typisch für eine neue Feengeneration war. Die Vermieterin, und neuerdings auch Freundin, seiner Fee kannte er schon lange, sie würde ihm keine Steine in den Weg legen. Dafür hatte er gesorgt.
Nun allerdings musste der Vampir feststellen, dass er sich offenbar zu viel Zeit gelassen hatte, und sein übereiltes Auftauchen in ihrem Zuhause vor einigen Tagen war ebenfalls nicht nach seinen Vorstellungen verlaufen. Obwohl sie während des überraschenden Besuchs in seinem Laden selbstbewusst gewesen war und sogar ein wenig geflirtet hatte, zeigte die Feentochter sich am Abend erstaunlich schüchtern und draußen lauerte ein Konkurrent. Asher hatte ihn zwar nicht spüren können, aber seine Versuche die eigenen mentalen Barrieren zu überwinden durchaus registriert. Er hatte ihm eine einfache Schimäre geboten und der unerfahrene Vampir war darauf hereingefallen. Jetzt hielt er Asher für einen Sterblichen. Er lachte leise.
»Du hast keine Ahnung, worauf du dich einlässt, mein Kleiner!«, flüsterte er und beobachtete aus der Ferne den Aufbruch der Freundinnen. Sie stiegen in einen Bus, erklommen die obere Etage und zogen sofort die Blicke mehrerer Sterblicher auf sich. Glücklicherweise waren sie so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie in Ruhe gelassen wurden. Asher war es unbegreiflich, warum junge Frauen sich ohne Begleitung in der Öffentlichkeit bewegten, noch dazu in dieser Kleidung. Doch offenbar hatten seine Geschwister recht, und er war einfach nicht mehr auf dem Laufenden. Im Vergleich zu einigen weiblichen Mitreisenden wirkten die beiden geradezu diskret.
Der Bus hielt, sie stiegen aus und reihten sich in eine Gruppe Wartender ein. Bald darauf verschwanden sie Arm in Arm in einem hässlichen Backsteinbau. Sahen so die Konzerthallen von heute aus? Asher folgte ihnen ungesehen. Seine Nasenflügel blähten sich, aber kein Vampir war zu spüren. Die Frauen steuerten auf eine Bar zu. Julen wartete schon auf sie. Asher war nicht überrascht, seine Aura erst im letzten Moment gespürt zu haben. Gewiss, hierbei handelte es sich um eine außergewöhnliche Gabe, aber einmal erkannt, bedeutete es für jemanden wie Asher lediglich
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