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Die Sternseherin

Titel: Die Sternseherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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hob die Wolldecke auf, die von ihren mageren Knien gerutscht war. Sein Verfolger atmete auf, Julen schien nicht vorzuhaben, sie zu beißen, aber was wollte er dann? Interessiert beobachtete Asher, wie er vor der Schlafenden in die Hocke ging und ihre Hand berührte. Nach einem Moment der Stille runzelte er die Stirn, als begreife er nicht, was in ihr vorging, und obwohl Asher üblicherweise die Privatsphäre anderer respektierte und nicht in ihren Köpfen herumspionierte, konnte er nun nicht widerstehen. Schnell sah er, was Julen verwirrt haben mochte. In ihren Gedanken fand er wenig Brauchbares, die alte Schachtel war völlig verrückt. Aber dann, als er sich gerade aus dem Wahnsinn zurückziehen wollte, entdeckte er doch etwas – Blut! Allmählich klaubte Asher sich die ganze Geschichte zusammen und konnte es kaum fassen: Sie hielt sich tatsächlich für einen Vampir. Jemand, ein Arzt oder Wissenschaftler, er war sich da nicht ganz sicher, hatte ihr regelmäßig ein Medikament injiziert, von dem er behauptete, es handle sich um ein Verjüngungsmittel. Der Kerl verlangte ein Vermögen für jede Spritze. Doch sie war nicht immer so verwirrt gewesen und auch nicht ohne Verbindungen. Als die Ergebnisse auf sich warten ließen, hatte sie einen Privatdetektiv beauftragt und der war mit der unglaublichen Geschichte von einem geheimen Zauberbuch und der Essenz des ewigen Lebens zurückgekehrt.
    Die Geschichte war äußerst merkwürdig und Asher hatte nun keine Skrupel mehr, die Gedanken anderer zu erforschen. Dieses Experiment erwies sich wie schon beim letzten Mal als nicht ganz einfach, besonders da er ihn zwar sehen, aber nicht spüren konnte. Es schien, als existiere er überhaupt nicht. Asher konzentrierte sich und starrte ihn forschend an. Schließlich gelang es ihm, in Julens Gedanken vorzudringen, weil dieser dermaßen auf die alte Frau fokussiert war, dass er dabei unbeabsichtigt viel von sich preisgab. Was Asher entdeckte, war immer noch schwierig genug zu lesen, doch das Bild war eindeutig. Julen war ein Vengador! Oder wollte es zumindest werden. Welch eine Torheit, der Grünschnabel ist doch noch viel zu unerfahren für diesen Job! Doch dann entdeckte er Kierans Spuren in Julens Gedanken. Asher glaubte sich zu erinnern, dass dieser kürzlich einen jungen, besonders talentierten Schüler erwähnt hatte. Kieran war, ebenso wie er selbst, beim Besten in eine harte Schule gegangen, bevor er Vengador und später Mentor für ausgesuchten Nachwuchs wurde. Eine einsame Profession. Die einzelnen Mitglieder ihrer Elitetruppe pflegten untereinander in den seltensten Fällen freundschaftliche Beziehungen und hielten, wenn sie sich doch einmal begegneten, meist Abstand voneinander. Ein Raubtier traut eben nie einem Rivalen, und Alpha-Vampire schwächten sich zudem gegenseitig, sobald sie zu lange beisammen waren. Bei seinem kurzen Treffen mit Julen war nichts davon zu bemerken, was vermutlich daran lag, dass der Vampir noch jung war.
    Je mehr er an Informationen fand, desto mehr ließen diese ihn an der Weisheit der Ratsmitglieder zweifeln. Der hilflose Gesichtsausdruck des Vampirs zeugte nicht vom Erstaunen über die Fantasien der Frau, er rührte vielmehr daher, dass Julen nur mit größter Anstrengung lesen konnte, was Asher in Sekunden erfahren hatte. Immerhin schien sein junger Kollege irgendetwas über den Privatdetektiv erfahren zu haben, denn er schickte sich nun an, das Zimmer nach einem Hinweis auf dessen Identität zu durchwühlen, während sein Beobachter längst wusste, wo er zu suchen hatte.
    Asher war hin- und hergerissen. Einerseits fand er die Mission zu heikel, um sie einem Anfänger zu überlassen, andererseits hatte Julen eine Chance verdient. Dessen Unlesbarkeit war zweifellos im Umgang mit Seinesgleichen ein Vorteil, aber sein bisher nur rudimentär entwickeltes Talent, selbst die geheimen Gedanken anderer Wesen aufzudecken, stellte ein mächtiges Handicap dar. Doch irgendwie musste es dem jungen Dachs gelungen sein, Kieran zu täuschen und das wiederum sprach für ihn – wenn auch nicht für Kieran als Ausbilder. Asher nahm sich vor, demnächst ein Wörtchen mit seinem Bruder zu reden. Vorerst aber reichte es aus, als Beobachter zu agieren. Im Zweifel hatte er jederzeit die Möglichkeit einzugreifen.
    Diese Überlegungen wurden unterbrochen, als er spürte, dass sich jemand näherte. Ein Sterblicher, vermutlich eine Nachtschwester.
    Julen hob nun ebenfalls lauschend seinen Kopf und griff dann in

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