Die Sternseherin
hier raus!« Ihre Stimme klang atemlos, als Asher sie noch näher heranzog, so als wolle er Estelle beschützen und nicht umgekehrt. Ein Macho schlummerte sogar im harmlosesten Bücherfreund, so er denn männlich war.
»Warum willst du fort, geht es dir nicht gut?« Sie konnte sich das Grübchen genau vorstellen, das in seiner linken Wange entstand, sobald er lächelte, doch in seiner Stimme klang nun Besorgnis mit.
Wenn ihn eine Notlüge in Sicherheit brachte, warum nicht? »Bitte ...«, flüsterte Estelle und registrierte erfreut, wie sich der Griff um ihre Schultern leicht lockerte. Statt aber mit ihr in den hellen Saal der Bibliothek zu gehen, zog er sie tiefer in den Gang hinein, weit fort von allem Licht, direkt in die Arme des Ungeheuers. Hinter einem dicht gefüllten Regal, das im schwachen Schein der Laternen seltsam bedrohlich wirkte, machte er Halt. Ehe sie begriff, was mit ihr geschah, fand Estelle sich in einem Sessel wieder und hielt eine Tasse Tee in der Hand. Die unheimliche Bedrohung war verschwunden. Asher stand hinter ihr, seine Hand lag kühl auf ihrer Stirn. Dann entdeckte er ihre bloßen Füße und lachte auf. »Ist das nicht ein wenig kühl zu dieser Jahreszeit?« Erfahrene Hände massierten nun ihre Schultern. Hoffentlich hörte er nicht so bald wieder damit auf! Sie nahm einen Schluck von dem köstlich duftenden Tee und bemühte sich zu ignorieren, dass seine Berührungen gewisse Regionen in ihrem Körper in Aufruhr versetzten. Schließlich stellte sie die Tasse beiseite und stand auf. »Ich suche das Grimoire.« Manchmal war die Wahrheit das beste Mittel, jemanden in die Irre zu führen. »Du weißt nicht zufällig, wo ich es finden kann?« Natürlich erwartete sie keine Antwort von ihm und war verblüfft, als er entgegnete: »Es ist nicht gut, in der Öffentlichkeit über diese Dinge zu sprechen.«
»Du machst dich über mich lustig!«
»Warum sollte ich? Du wärst nicht die Erste, die bei der Suche nach Zauberformeln Dinge entdeckt, die einem Normalsterblichen besser verborgen bleiben.«
»Aber ich ...«, rasch biss sie sich auf die Zunge. Was hatte Asher nur an sich, dass sie regelmäßig ihre Vorsicht über Bord warf? Fast hätte sie sich verplappert. Als Feentochter war sie zwar durchaus sterblich, aber von »normal« konnte wohl kaum die Rede sein. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sie sich vorstellte, wie er es aufnehmen würde, wenn sie ihm die Wahrheit über ihre Herkunft verriet.
Asher starrte wie gebannt auf ihren verführerischen Mund und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Merkwürdig, dass Estelle nun auch auf der Suche nach dem Grimoire war. Dann ging ihm ein Licht auf und er wurde wütend. Julen musste sie in seine Nachforschungen eingespannt haben, das war nicht nur dumm, sondern außerordentlich verantwortungslos. Wie viel hatte er ihr erzählt? Asher meinte sich zu erinnern, dass er einst über ein Dokument gelesen hatte, das angeblich zahllose verloren geglaubte magische Formeln enthielt. Der Verfasser sei ein Dämon gewesen, der, da er unter den Menschen lebte, dem Rat reichlich Ärger bereitet hatte, bevor er zur Strecke gebracht worden war. Bedeutende Aufzeichnungen waren damals nicht gefunden worden, aber Unterlagen dieser Qualität versteckte niemand unter seinem Kopfkissen. Asher hielt nicht viel von heilsbringenden Büchern, ob sie nun existierten oder nicht. Doch sollte sie dem Grimoire tatsächlich auf der Spur sein, dann wäre es seine Aufgabe als Hüter, es in den Besitz des Rates zu bringen, bevor es in die falschen Hände geriet.
Er verschränkte seine Arme vor der Brust, um zu verhindern, dass er seinem Wunsch nachgab, die entzückende Fee an sich zu ziehen, um sie zu küssen. Wollte er mehr herausfinden, dann war seine Tarnung als verhuschter Gelehrter jetzt außerordentlich wichtig; sie durfte seine wahre Natur nicht erkennen. Solange sie Asher für ungefährlich hielt, würde sie ihm hoffentlich vertrauen – dabei traute er sich selbst in diesem Moment nicht. Ein schöner Protektor war er, der bei der ersten Gelegenheit schwach wurde und an nichts anderes mehr dachte, als seine Schutzbefohlene zu verführen. Bis auf ein kurzes Aufleuchten seiner Augen verriet nichts den Tumult in seinem Herzen und glücklicherweise noch viel weniger die Reaktionen einige Etagen tiefer. Er war froh, dass Estelle nicht seine Fähigkeit besaß, selbst bei einem Minimum an Licht perfekt sehen zu können. Die Hose spannte unter dem weiten Pullover, dass es
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