Die Sternseherin
und dem Getränk Leben einzuhauchen schien. Dieser Anblick konnte einen Vampir fast dafür entschädigen, dass der Genuss direkt aus der Quelle sogar in den eigenen vier Wänden kaum mehr möglich war, wollte er nicht unnötige Aufmerksamkeit erregen. Asher liebte die Jagd nach wie vor und mehr, als gut für ihn war, genoss aber auch den Luxus, den ein gut gefüllter Kühlschrank mit sich brachte. So gesehen hatten die neuen Zeiten durchaus ihre Vorteile. Mit halbgeschlossenen Lidern sog er den Duft des Blutes ein, seine Zähne verlangten danach, frei zu sein, und er gestattete ihnen dieses harmlose Vergnügen. Mit einem Fauchen hob der Vampir schließlich das Glas an seine Lippen und trank. Das Blut war von bester Qualität, aber mit dem köstlichen Nektar der kleinen Fee nicht zu vergleichen. Schon der Gedanke daran schürte sein Verlangen. Asher setzte sich auf. Zugegeben, es mochte eine Weile her sein, seit er das letzte Mal die Jagd mit anderen Vergnügen verbunden hatte, aber das rechtfertigte weder die pulsierende Hitze, die sein Denken beeinträchtigte, sobald er die Feentochter auch nur von fern spürte, noch das Drängen der Reißzähne in seinem Mund. Der Vampir stürzte das Blut hinunter und schenkte sich nach, bis seine Vorräte aufgebraucht waren. Die letzte Flasche warf er in die sterbenden Flammen seines Kamins, als die Nacht sich verabschiedete, um ihrer strahlenden Schwester die wenigen Winterstunden zu überlassen.
Der Lifestyle-Mediziner Gralon trommelte mit dem Kugelschreiber auf antikem Mahagoni und ließ den Blick über auf dem Boden verteilte Papiere gleiten, die er in einem Wutanfall vom Schreibtisch gewischt hatte. Die Ergebnisse der letzten Versuchsreihe konnten nicht anders als katastrophal genannt werden. Gralon wollte nicht nur einfach die Jugend seiner Klienten länger erhalten, das taten schon zahllose Kollegen. Nein, er hatte Visionen und die sichere Überzeugung: Ewiges Leben war möglich. Nichts Geringeres versuchte er mit seiner außerordentlich spezialisierten Genforschung zu erreichen. Ethische oder ganz pragmatisch bevölkerungspolitische Überlegungen interessierten ihn nicht, diese Probleme sollten andere lösen. Der Professor wusste, dass er sich mit seiner Theorie auf dem richtigen Weg befand, aber weder die Tierversuche noch seine Tests an Freiwilligen zeigten auf Dauer den gewünschten Erfolg. Anfangs ging alles gut, der Alterungsprozess war zwar noch nicht reversibel, konnte mithilfe des von ihm entwickelten Serums jedoch zumindest für eine gewisse Zeit aufgehalten werden.
Spätestens nach ein paar Wochen, bei einigen Testpersonen schon nach wenigen Tagen oder Stunden, traten dann aber Komplikationen auf. Die Tiere gingen relativ schnell ein, seine menschlichen Probanden reagierten völlig unterschiedlich: Einige wurden apathisch und fielen später ins Koma, andere entwickelten Wahnvorstellungen oder verhielten sich extrem aggressiv. Eines hatten sie alle gemein, wie auch immer sie auf das Mittel reagierten, früher oder später starben sie und es wurde immer schwieriger für sein Team, diese Rückschläge geheim zu halten.
Inzwischen ahnte Gralon, dass neben seinem zweifelsfrei vorhandenen wissenschaftlichen Genie auch etwas ganz anderes erforderlich war, um den größten Coup der Menschheitsgeschichte zu landen. Den Schlüssel zum Erfolg vermutete er in einem Grimoire, das er seit Wochen erfolglos suchen ließ. Natürlich kursierten, wie bei jeder geheimen Aufzeichnung, davon auch Abschriften, sogar im Internet konnte jeder darin lesen, aber wie es bei allen Libri Nigri der Fall war, hatten die Originale dieser geheimnisvollen Schwarzen Bücher entweder nie existiert und gehörten ins Reich der Legenden oder sie waren längst in Privatsammlungen verschwunden, zu denen kaum jemand Zugang hatte. Seinen Auftraggeber einzuschalten hätte bedeutet, zuzugeben, dass seine Forschungen längst nicht so weit gediehen waren, wie er bisher behauptet hatte. Und das war ein weiterer Punkt, der ihm Sorgen bereitete: Dieser Auftraggeber begann allmählich, ungeduldig zu werden.
Seit seiner frühesten Jugend glaubte Gralon an Vampire. In nahezu allen Kulturen wurde die Macht des Blutes beschworen. Ohne einen wahren Kern in diesen zahllosen Mythen und folkloristischen Erzählungen über Vampire wäre es einfach ein zu großer Zufall. Und an Zufälle glaubte er nicht. Aber an Magie. Bei seinen Nachforschungen hatte Gralon erste Hinweise auf das Grimoire erhalten. Seiner Suche
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