Die Sternseherin
einem der reichsten Männer der Welt machen wird.«
Die Umsätze der Anti-Aging-Industrie waren schon heute enorm, Gralon musste nicht lange überlegen. Hier war die Chance, einer ausweglos erscheinenden Situation zu entkommen, sich die gierige Noch-Verwandtschaft vom Hals zu schaffen und endlich unter idealen Bedingungen arbeiten zu können. Er schlug ein, als der Mann seine Hand ausstreckte, so als habe er nie am Ausgang des Gesprächs gezweifelt.
Plötzlich riss ihn ein Klopfen aus seinen Erinnerungen und sein Assistent kam hereingewieselt. »Professor, ein Anruf für Sie«, flüsterte er und hielt das Mundstück des Handys verdeckt.
»Er!«
Beklommen griff Gralon das Telefon und scheuchte den Mann mit einer Handbewegung hinaus. »Ja?« Schweißperlen auf der Stirn und ein nervöser Tick unter dem rechten Auge verrieten seine Anspannung.
»Die Quelle ist geschlossen!«, teilte ihm eine dunkle Stimme mit, und er wusste, dass der Detektiv, den ihm eines seiner letzten Versuchskaninchen auf den Hals gehetzt hatte, nicht mehr reden würde. Der Schnüffler hatte sich eingebildet, ihn erpressen zu können. Gralon hatte etwas unternehmen müssen, um das geheime Forschungsprojekt nicht zu gefährden, beruhigte er sein schlechtes Gewissen. »Er wusste von Ihrer Suche nach dem Grimoire.« Der Anrufer war kein Freund vieler Worte und überraschte mit diesem kompletten Satz.
»Wie konnte er das herausfinden?«
»Unbekannt!«
Vor seiner Abreise aus dem maroden Schloss hatte Gralon ein Handy erhalten, mit dem er nun in regelmäßigen Abständen mit dem Mann Kontakt aufnahm. Nur eine Telefonnummer war darin gespeichert und von dieser aus wurde er jetzt angerufen. Der Unbekannte, so hieß es, sei ein »Sicherheitsfachmann« und sorge zudem dafür, dass es ihm niemals an Testmaterial mangeln würde. Und so war es dann auch. Gralon hatte von Anfang an den Verdacht gehabt, dass der Kerl Kontakte in die Unterwelt besaß, und deshalb keine Skrupel, ihn damit zu beauftragen, den Detektiv überprüfen zu lassen.
Keiner von ihnen legte Wert auf eine persönliche Begegnung und die exorbitante Summe, die er im Voraus verlangt hatte, war an eine exotische Bank in der Südsee überwiesen worden. Gralon hatte den Verdacht, dass sein Kontaktmann den Auftrag selbst ausgeführt hatte, aber das war ihm gleich. Er wollte sich allerdings vergewissern, ob er sein Geld auch gut angelegt hatte, und fragte: »Existieren irgendwelche Aufzeichnungen?«
»Vernichtet!«
»Sehr gut.« Eine Sorge weniger. »Ich brauche zum Monatsende neues Material.«
»Der Markt hat sich verändert.«
Augenscheinlich wollte er auch hier größere Gewinne einfahren. »Wie viel?«
Der Mann gab eine Art Bellen von sich, das man als Lachen interpretieren konnte. »Geld ist kein Problem. Untersuchungen wurden eingeleitet.«
»Das ist doch nichts Neues, die Polizei ...«
»Lieferbedingungen wie immer«, unterbrach ihn der Killer. »Erst die Bezahlung, dann die Ware.« Damit war die Leitung tot.
IX
Schneeflocken wirbelten in der Luft und setzten Estelle eine weiße Krone auf, die schmolz, sobald sie die Seanachas-Bibliothek betrat und ihre Sonnenbrille abnahm. Heute schmerzte sie das Tageslicht besonders in ihren empfindlichen Augen. Obwohl sie sicher war, am Vorabend nicht getrunken zu haben, fühlte sie sich ziemlich schlapp.
Hinter dem langen Tisch am Eingang saß eine junge Frau. Sie versprach mit einem schüchternen Blick, dass der Leseausweis in einer halben Stunde fertig wäre. Dieses Mal wollte Estelle im unteren Raum mit ihrer Suche fortfahren. Zum Glück waren nur wenige Pulte besetzt und die Leser dermaßen in ihre Lektüre vertieft, dass ihnen Estelles merkwürdiges Verhalten bestimmt nicht auffiel. Die leichten Schuhe, die sie trotz der Kälte trug, verschwanden hinter einem freien Schreibtisch. Behutsam strich sie mit ihren Händen über Buchrücken, und es dauerte nicht lange, bis die Bücher begannen, ihr Geschichten vergangener Jahrhunderte zuzuflüstern. Ein dicker Band mit lateinischer Goldprägung brummte in tiefem Bass eintönige Sequenzen, das Heft neben ihm gab sich dagegen manieriert und ein paar Meter weiter reimte ein schmales Bändchen Limericks, deren obszöner Inhalt seiner Zuhörerin das Blut in die Wangen trieb. Schon wollte sie sich abwenden, da hörte sie unter all dem Geflüster und Getuschel plötzlich drei dunkle Stimmen. Anfangs waren sie nur ganz leise und sie bemühte sich vergebens, Sinn in die Worte zu
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