Die Sternseherin
einmal kräftig hineinzukneifen. Estelle kicherte, als sie sich seinen verwirrten Gesichtsausdruck vorstellte. Er war Macho genug, um auf diese Form weiblichen Selbstbewusstseins irritiert zu reagieren. Aber reagieren würde er, da war sie sich ganz sicher, und nahm sich vor, demnächst einmal den Beweis dafür anzutreten.
Weniger Gefallen fand sie an der Szene, die sich ihr gleich darauf bot. Sie hatte noch nie zuvor besser beobachten können, wie manche Frauen auf einen gut aussehenden Mann reagierten. Die Bodenstewardess blickte auf und schaltete sofort auf »Beute-Modus«, wie ihre Schwester Selena es immer nannte. Sie nahm die Schultern zurück und schien ein paar Zentimeter zu wachsen. Ihre Augen bekamen so einen unerklärlichen Ausdruck zwischen »Beschütz mich« und »Vamp« und ihr Lächeln stand dem einer Diva in nichts nach. Estelle traute ihren Augen nicht. Hatte das Biest gerade Julens Hand gestreift, während sie ihm die Tickets über den Tresen schob?
»Wie lautet ihre Telefonnummer?«, fragte sie, als er zurückgekehrt war, und stellte beschämt fest, dass ihre Stimme ein klein wenig zu spitz klang.
»Wie bitte?« Julen hielt mitten in der Bewegung inne und sah sie verblüfft an. Dann begann er laut zu lachen. »Frauen! Ich habe keine Ahnung«, fügte er sicherheitshalber hinzu, als er Estelles empörten Gesichtsausdruck sah. Er griff nach ihrer Hand und gemeinsam gingen sie zum Check-in, Estelle hätte wetten mögen, dass die feindseligen Blicke der Frau sie jeden Moment durchbohren würden.
Die komfortablere Klasse, für die er Tickets besorgt hatte, unterschied sich in dem kleinen Flugzeug kaum vom Rest der Plätze, nur ein Vorhang trennte beide Abteile und vielleicht waren die Sitzreihen in einem etwas größeren Abstand montiert, aber ihr Begleiter schien sich dennoch nicht ganz wohlzufühlen und tat sich schwer, als er versuchte, seine langen Beine irgendwie unterzubringen. Sein Oberschenkel presste sich gegen ihr Knie und Estelle verspürte das dringende Bedürfnis, die Lüftung über sich weiter aufzudrehen. Ihre unberechenbare Libido würde bestimmt noch einmal ihr Untergang sein! Unauffällig nahm sie ihre Hand von der Armlehne, die sie von Julen trennte, und versuchte, an etwas anderes zu denken. Eine Flasche mit kühlem Quellwasser wäre jetzt gut. Allerdings bekäme sie sicherlich Ärger mit dem dunkelhaarigen Steward, der für ihren Teil der Maschine zuständig war, wenn sie sich das Nass über ihr glühendes Dekolleté gießen würde. Sie sah ihn genauer an. Nur nicht an den Mann neben sich denken! Das Namensschild wies ihn als Tony Steward aus, was Estelle, die ihn auf Ende zwanzig schätzte, ein Lächeln entlockte. Er kam direkt auf sie zu und bat Julen, sich anzuschnallen, dabei legte er seine Hände auf die Kopfstütze vor ihrer Nase und sie hatte ausreichend Gelegenheit, eine Reihe gepflegter Fingernägel zu bewundern. Kurz vor dem Start tänzelte er noch einmal den Gang entlang und schaute streng in jede Sitzreihe, als glaube er, die Passagiere hätten die wenigen Minuten seiner Abwesenheit genutzt, um ihre Gurte blitzschnell wieder abzulegen. Neben Estelle, die tatsächlich noch nicht angeschnallt war, blieb er stehen und beugte sich weit über sie, um sich persönlich vom richtigen Sitz des Sicherheitsgurtes zu überzeugen, der direkt unter Julens Gürtel lag. Der starrte ihn ungläubig an und fand seine Sprache erst wieder, als sie schon zur Startbahn rollten.
Tony Steward zeigte das gleiche Verhalten wie seine Kollegin am Boden, und Estelle kicherte, als sie sah, wie Julen ob der deutlichen Avancen, die der Mann ihm während des gesamten Fluges machte, die Augen verdrehte. Sie amüsierte sich so gut, dass ihre eigenen Begehrlichkeiten dort blieben, wo sie hingehörten, nämlich gut verschlossen in ihrem Herzen.
»Wohin jetzt?« Estelle blickte gerade noch rechtzeitig über die Schulter, um sehen zu können, wie Julen völlig unbehelligt an den Passkontrolleuren vorbeiging, die gerade noch ihren eigenen Ausweis gründlich geprüft hatten. Die uniformierten Sicherheitskräfte schienen ihn überhaupt nicht wahrzunehmen, doch ehe sie sich weiter darüber wundern konnte, saß sie bereits im Fond eines luxuriösen Fahrzeugs deutscher Herkunft und rollte darin lautlos durch den Abend. Keine zwanzig Minuten später hielt der Wagen vor dem hell erleuchteten Eingangsportal eines Hotels. Sie hatte noch nicht die Hand nach dem Türgriff ausgestreckt, da wurde der Schlag bereits
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